Von allen Gottesbeweisen und sonstigen Argumenten für die Existenz Gottes, die die Menscheit je ersonnen hat, sind die meisten Unsinn (s. hier). Ein einziges jedoch hat eine Art Prima-facie-Plausibilität, die ihm eine gewisse herausragende Position unter all den anderen gibt. Das Argument gründet sich auf Tatsachen und Forschungsergebnissen und ist daher schwieriger zu widerlegen. Deshalb widme ich ihm einen separaten Beitrag.
Es ist das Problem der Feinabstimmung der Naturkostanten. Das Universum, wie wir es kennen, beruht auf Naturgesetzen. Diese wiederum beinhalten bestimmte Konstanten - etwa die Stärke der Gravitation, die Masse der Elementarteilchen oder die Anzahl der Dimensionen im Raum. All diese Werte zusammengenommen ergeben ein fragiles Gleichgewicht, das genau das Weltall ergibt, das uns Menschen hervorgebracht hat. Wären auch nur ein paar dieser Werte um ein paar Prozent anders, gäbe es keine Kernfusion, kein Sonnenfeuer, kein Kohlenstoff für die DNA und keine chemische Reaktion zwischen Wasserstoff und Sauerstoff, die uns unser liebes H2O beschert hat. (Menschliches) Leben wäre mit Sicherheit unmöglich. Der Physiker Roger Penrose hat spaßenshalber ausgerechnet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass alle Naturkonstanten genau den uns bekannten Wert haben, 10 hoch 10 hoch 123 beträgt. Da scheint doch jemand förmlich beim Urknall an den Reglern gedreht und genau die richtigen Zahlen vorgegeben zu haben! Das Universum scheint doch geradezu für Menschen geschaffen worden zu sein, nicht? Man kann beim Welterschaffen doch nicht 10 hoch 10 hoch 123 Mal würfeln!
Moment.
So fein abgestimmt für unser Dasein ist das Universum gar nicht. Dessen lebensfeindlicher Teil ist so nah an 100 %, dass es einem den Atem verschlägt. Die kleine biologische Nische, die wir hier auf der Erde im hinteren Winkel des Alls bewohnen, ist so winzig, dass das Argument schon an dieser Stelle genauso viel Überzeugungsraft hat wie die Aussage des einzigen Bakteriums in einem Fußballstadion, man hätte selbiges auf seine Existenz "fein abgestimmt".
Aber selbst wenn man darüber hinweggeht: Das Argument der "feinen Abgestimmtheit" beruht auf einem Denkfehler, nämlich auf dem Schluss: "unwahrscheinlich = bezweckt". Wenn die Wahrscheinlichkeit für das zufällige Zustandekommen eines Ereignisses gering ist, denken wir automatisch, irgendjemand habe es absichtlich und zielgerichtet verursacht. Dem ist aber dann nicht zwingend so, wenn es haufenweise vergleichbare, "gleich unwahrscheinliche" Ereignisse alternativ dazu geben kann. Beispiel: Ich würfle zehnmal hintereinander und bekomme die Kombination 2524116235 raus. Dass gerade dies herauskommt, ist in höchstem Maße unwahrscheinlich, doch habe ich das Ergebnis andererseits in keiner Weise willentlich herbeigeführt - eine Unmenge an genauso unwahrscheinlichen Würfelergebnissen lässt sich ja daneben zwanglos vorstellen. Denkt man den Fehler weiter, kann man zu gar grotesken Ergebnissen kommen: Wenn beispielsweise Hitler den Zweiten Weltkrieg nicht vom Zaun gebrochen hätte, hätten sich meine Eltern nie kennengelernt, da zumindest das Schicksal meiner Mutter dann ganz anders verlaufen wäre. Heißt das, das Hitler meine Geburt beabsichtigt hat? Natürlich nicht - er setzte einfach eine (der vielen) Ursachen für mein (unwahrscheinliches) Zustandekommen. Und wenn irgendeine dieser Ursachen etwas anders gewesen wäre, dann hätte sich die Welt halt anders entwickelt - ohne mich, mit anderen Menschen, aber genauso gut. Mich dermaßen ins Zentrum der Welt zu rücken und zu sagen, irgendjemand habe meine Geburt bezweckt, ist gelinde gesagt übertrieben.
Derselbe Fehlschluss lag dem ominösen "Bibelcode" zugrunde, bei dem man die Texte u.a. des Genesis-Buchs auf eine trickreiche Weise gelesen (man lese etwa jeden vierten Buchstaben etc.) und in diesem "Code" Vorhersagen der Ermordung Yitzhak Rabins sowie des Kampfes gegen Bin Laden gefunden haben will. Aber auch dieses scheinbar durch Zufall schwer erklärliche Ergebnis kann man leicht erklären: Wenn man nach irgendeiner Buchstabenkombination sucht und dann jedoch die Wahrscheinlichkeit gerade des Gefundenen berechnet, kommt man zu grandiosen, aber nichts sagenden Wahrscheinlichkeitszahlen. Folgerichtig haben Tüftler mit derselben Methode in der Bibel unter anderem die Aussage "There is no God" gefunden. Wie hoch wohl ist die Wahrscheinlichkeit dafür ist?..
Und so sollte man auch beim Problem der Feinabstimmung der Naturkonstanten denken: Unbemerkt verengt man dabei nämlich den Kreis der möglichen Ergebnisse der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die eine Welt, in der wir leben, und auf die eine Lebensform, die wir kennen, namentlich die kohlenstoffbasierte DNA-/RNA-gestützte. Niemand hat aber gesagt, dass das die einzige mögliche Lebensform schlechthin ist. Mag das Universum bei veränderten Ausgangspositionen ohne Sterne und Wasser entstehen, mag es gar nur 1000 Jahre existieren, uns fehlt einfach die Fantasie, uns vorzustellen, welche anderen, mit uns gar nicht vergleichbaren, aber jeweils für sich genommen "gleich unwahrscheinlichen" Lebensformen es dann geben kann. Das Argument gründet sich deshalb auf dem von dem großen Carl Sagan zutreffend titulierten "Kohlenstoffchauvinismus". Das Leben, wie wir es kennen, ist das Ergebnis der vorgegebenen Naturkonstanten, und nicht umgekehrt. Wer denkt, das Universum sei dem Menschen "angepasst" worden, unterliegt dem typischen Größenwahn der religiösen Menschen - und setzt daher durch die Hintertür das voraus, was er durch die Feinabstimmung der Naturkonstanten beweisen möchte - die Existenz Gottes. So gesehen ist das Argument letztlich doch nur ein Zirkelschluss.
Montag, 28. Juni 2010
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