Samstag, 15. November 2008

Der Oldtimer, der ich bin

Heute fühle ich mich verlassen. Und zwar nicht etwa von einer Frau, einem guten Freund oder von allen guten Geistern. Viel schlimmer. Ich fühle mich verlassen von der Evolution höchst selbst. Jetzt, wo ich 30 Jahre alt bin, bin ich nämlich den Urkräften der natürlichen Selektion, die diese unvorstellbare Vielfalt an Lebewesen hervorgebracht haben, ziemlich egal geworden. Ab jetzt ist meine Gesundheit und mein leibliches Wohlergehen gewissermaßen auf Autopilot gestellt - ob ich in fünf oder fünfzig Jahren sterbe, ist der Natur gleich. Dabei war es noch vor 5 Jahren ganz anders.

Das Altern eines Lebewesens ist gar nicht so selbstverständlich. Es gibt Kreaturen, die - wirklich!- unsterblich sind. Einfach ist es bei den Einzellern, die sich ja nur teilen, aber nie sterben. Wenn also Umwelteinflüsse günstig sind, ist es denkbar, dass eine konkrete Mikrobe von der letzten Eiszeit bis zum heutigen Tag überlebt hat. Interessant ist auch das Leben dieses Kollegen hier - der Polyp unterzieht sich regelmäßig einfach einer eingebauten Verjüngungskur und wird wieder zum Teenager. Wir Menschen sind aber etwas komplizierter gebaut - und damit sterblich (auch wenn neuerdings Fälle bekannt werden, in denen das Altern anscheinend nicht voranschreitet).

Wenn wir uns fragen, warum wir altern, dann ist die Frage falsch gestellt. Richtig wäre zu fragen, warum der durch Evolution entstandene Körper die Anstrengung unternehmen sollte, das Altern zu verhindern. Gene, die nicht nur auf blinde Teilung setzen wie die Einzellergene, haben ja grundsätzlich zwei Möglichkeiten lange zu überleben - indem sie ihren Körper zwingen, ewig zu leben, oder indem der Körper Nachkommen mit ebendiesen Genen produzieren soll. Sie können den Körper also zum einen zu einer Überlebensmaschine mit Schutzmechanismen gegen schädliche äußere Einflüsse (Raubtiere, Hunger, Krankheiten, Wetterkapriolen) und einem perfekten Stoffwechsel ohne giftige Nebeneffekte ausstatten. Ziemlich viele Investitionen also. Oder sie können Qualität durch Quantität ersetzen und auf das Motto setzen "Wenn mein Körper nur rechtzeitig genügend lebensfähige Nachkommen produziert, die ihrerseits die Gene weitergeben, ist mir sein weiteres Überleben wurscht." Genau für diese zweite Möglichkeit haben sich die Gene bei den höheren Lebewesen "entschieden". Unser Körper ist also dazu da, möglichst schnell Nachkommen zu erzeugen und sie lebensfähig zu machen. Danach ist er unseren Genen egal. Die entsprechende biologische Theorie heißt denn auch wenig schmeichelhaft "Disposable soma theory" (zu Deutsch etwa: Theorie des entbehrlichen Körpers). Da aber die in natürlicher Umgebung bei primitiven Stämmen beobachtete durchschnittliche Lebensdauer aufgrund externer Faktoren bei etwa 30 Jahren liegt, hat sich der menschliche Körper wohl auch darauf eingeschossen - Geschlechtsreife mit 14-15 Jahren, dann möglichst schnell Kinder kriegen, sie ernähren, so die Weitergabe der Gene sichern, und dann ist der Körper nur noch ein Oldtimer-Auto: Die Nachfolge-Generation ist da, er selbst fährt zwar noch, aber wie weit und wie lange er es schafft, ist seine Sache. Er hat nurmehr einen nostalgischen Wert, repariert wird er notdürftig, es gibt Wichtigeres zu tun.

Der sexuelle Trieb ist deswegen auch der stärkere als etwa der Trieb, sich gesund zu ernähren. Nicht umsonst verursachen Männer Verkehrsunfälle, wenn sie einen Minirock sehen, nicht aber, wenn sie an einem Poster mit Bio-Essen vorbeifahren. Hohes Alter zu erreichen, ist den Genen schlicht egal. Und da ich jetzt an diese Altersgrenze der genetischen Wichtigkeit gekommen bin, fühle ich mich von den Kräften der natürlichen Selektion, die einem Lebewesen ja eine gehörige Fitness zum Überleben bescheren, verlassen. Traurig, ein Oldtimer zu sein.

Was tun? Sterben oder altern möchte ich jedenfalls nicht sofort, und so schaut man sich nach Lösungsstrategien um. Bisher ist der einzige nachgewiesene Ansatz die Kalorienbegrenzung, die das Leben nachweislich verlängert. Für eine kleine Portion Extra-Jahre reicht es auch, glücklich oder verheiratet zu sein (oder beides, was gelegentlich vorkommen soll) oder aber sich selbst jünger vorzustellen. Die mikrozellulären und -biologischen Ursachen für das Altern sind im Übrigen inzwischen auch bekannt. Es sind vor allem Verschleißerscheinungen (intra- und extrazellulärer Müll, Mutationen in den Mitochondrien, die Verkürzung von Telomeren bei jeder Zellteilung) - also nichts grundsätzlich Irreversibles, ein eher technisches Problem. Einige ernstzunehmende Wissenschaftler, darunter der Futurologe Ray Kurzweil und der Biogerontologe Aubrey de Grey haben dem Altern deshalb den Kampf angesagt. De Grey ist der Auffassung, dass bei gehöriger Anstrengung man in einigen Dekaden das Altern anhalten und schlussendlich umkehren können wird. Für ihn ist das Altern eine Krankheit, ein Übel, das täglich ca. 100.000 Menschen sterben lässt. Eine andere Frage ist, ob Unsterblichkeit eine gute Sache ist. Aber de Grey hat Recht, indem er sagt, dass wir erst einmal forschen und dann, wenn wir die entsprechenden Technologien haben, die Menschen entscheiden lassen sollen, ob sie sie in Anspruch nehmen. Gesünder und vitaler würde diese Forschung die Menschen auf jeden Fall machen. Vielleicht reicht es ja, wenn man, wie Luis Bunuel mal scherzte, alle zehn Jahre mal kurz aufwacht, die Zeitung liest und staunt.

Zu schön, um wahr zu sein? In der Zeitschrift "Technology Review" wurde ein Wettbewerb ausgerufen, um de Greys Thesen zu widerlegen. Bisher hat es noch niemand geschafft. Andererseits wurde von seiner "Methuselah-Stiftung" ein Preis an eine Forschungsgruppe aus Illionis vergeben, denen es gelungen war, Mäuse mehr als anderthalbmal so lange leben zu lassen als sonst. Bei Menschen wären dies 180 Jahre gewesen.

Dienstag, 7. Oktober 2008

Ein ganz banaler Held




Dieses Video zeigt einen Verkehrsunfall, der im Mai 2008 in Hartford, Connecticut, USA, passiert ist. Man sieht einen älteren Mann, wie er von einem Auto erfasst wird und auf der Fahrbahn liegen bleibt. Mehr als eine Minute lang passiert nichts. Menschen gehen am Unfallort vorbei, Autos fahren fröhlich ihres Wegs, ein Rollerfahrer macht sogar einen eleganten Bogen um den Schwerverletzten herum, nur um anschließend zu verschwinden. Irgendwann kommt die Polizei, bis dahin hat niemand sich dem armen Mann auch nur genähert. Alle stehen und glotzen nur. Ein ähnlicher Fall geschah vor kurzem in China.

Erschreckend, oder? Der Polizeichef sah sich denn auch veranlasst zu sagen: "We have lost our moral compass". Doch ist das wirklich so? Nun, nicht unbedingt. Dieses Verhalten, wie unangenehm es uns auch erscheinen mag, ist in gewissem Sinne "normal". Denn es gibt (neben der Religion) etwas sehr Mächtiges, das gute Menschen dazu bringen kann, Böses zu tun: die Situation.

Die unglaubliche Kraft der Situation ist den Psychologen seit etwa einem halben Jahrhundert bekannt. Viele Experimente sind durchgeführt worden, die zeigten, wie weit Menschen gehen, um sich den jeweils herrschenden Umständen anzupassen, nicht aufzufallen, "normal" zu agieren, so zu sein wie alle. Es fing alles harmlos an, als Solomon Asch 1951 demonstrierte, dass Versuchspersonen eine einfache Frage ersichtlich falsch beantworteten, nur weil der Rest der Gruppe, in der sie sich befanden (alles eingeweihte Strohmänner), ebenfalls falsch antworteten. Wenn es alle sagen, dann sage ich das auch. Asch war später der Doktorvater von Stanley Milgram, der 1962 die Welt schockierte. In seiner Versuchsanordnung waren Menschen bereit, einen anderen auf eine zum Teil sadistische Weise zu quälen und sogar in Todesgefahr zu bringen, weil es "das Experiment erforderte" und der Versuchsleiter tat, als wäre alles in Ordnung. Weiter ging es neun Jahre später mit dem Gefängnis-Experiment von Philip Zimbardo, einem Studienfreund Milgrams, in dem normale Studenten zu brutalen Bestien wurden, weil man sie in Uniformen gesteckt und in einen improvisierten Knast als Aufseher hat arbeiten lassen. Derselbe Zimbardo führte auch das "Broken Windows"-Experiment in Palo Alto durch: Solange ein verlassenes Auto unberührt auf der Straße stand, passierte nichts; jedoch fielen Passanten über das Auto her und demolierten es, sobald Zimbardos Studenten den "ersten Schlag" geführt hatten - ab dann war der Vandalismus ja scheinbar "normal". Den Gipfel des situativ bedingten Wahnsinns belegten die Psychologen Darley und Latane 1968: In ihrem Versuch waren 90 % der Menschen bereit, sogar ihr eigenes Leben in höchste Gefahr zu bringen, nur weil es situationsadäquates Verhalten war. Sie saßen in einem Raum, in den plötzlich Unmengen von Rauch eindrangen. Da die anderen Personen im Raum (Eingeweihte) keine Reaktion zeigten, schlugen auch die Versuchspersonen keinen Alarm und blieben im Raum sitzen. Wäre es ein echter Rauch gewesen, wären sie ausnahmslos erstickt.

Die Kraft der Situation ist also immens hoch. Ebenjener Philip Zimbardo, der Autor des Gefängnis-Experiments, schlägt deshalb eine neue Definition eines "Helden" vor: Ein Held ist nicht, wie wir ihn uns vorstellen, ein Ritter hoch zu Ross mit wehenden Haaren, gutem Aussehen und übermenschlichen Kräften. Er ist kein Super- oder Spiderman. Er muss nicht gleich einem auf die U-Bahn-Gleise gefallenen bewusstlosen Studenten hinterherspringen, um ihn zu retten. Held zu sein ist, wie Zimbardo sagt, ganz "banal". Es reicht, wenn man ein durschnittlicher Mensch ist, der einmal im Leben, wenn es nötig ist, die Mauern der situativ bedingten Starre und Gleichgültigkeit durchbricht, etwas macht, was andere nicht machen, und zum Beispiel einem alten auf der Fahrbahn liegenden verletzten Mann hilft, wenn Schaulustige nur glotzen. Es ist so einfach, wenn darüber nachdenkt. Die Menschen sollten eine Situation kontrollieren, nicht umgekehrt.

Sonntag, 7. September 2008

Bin Ladens Albtraum

Es ist ein heißer Sommertag, und Du suchst eine Abkühlung von der Hitze. Eine Cola ist schnell zur Hand, doch die Seele sehnt sich nach etwas Natürlichem, Vitaminreicherem und Gesünderem. Zum Beispiel eine Handvoll schöner frischer wassertropfenbedeckter Trauben. Nur: Wo nimmt man sie denn auf die Schnelle her? - Ich habe da einen Vorschlag für Dich, Suchender: Du trittst einfach zum Islam über, gehst auf eine Extremisten-Schule und sprengst Dich im Namen Allahs in die Luft.



Im Paradies, das weiß jeder anständige islamische Fanatiker, warten auf einen Jihadisten 72 willige Jungfrauen zwecks sukzessiven oder simultanen Vernaschens. Der Text der Sure 56 beschreibt allerlei Wonnen für die tapferen Glaubenskrieger, unter anderem Wein, Fleisch im Überfluss - und "Huris mit schönen großen Augen wie wohlbehütete Perlen als Belohnung für ihre guten Taten" (s. hier). Huris sind nach hergebrachter Deutung die viel besungenen Jungfrauen, die 33 Jahre alt sind, keine Periode oder sonstige menschlichen Bedürfnisse (Pinkeln, Schlafen, Schuhe kaufen) haben und deren Jungfräulichkeit sich nach jeden Akt stets erneuert. Viele Gelehrte gehen noch weiter und träumen von den wunderbaren physischen Attributen der Huris.

Das zum Beispiel ist ein Video-Ausschnitt aus einer Predigt, in der der saudische Imam etwa Folgendes vorschwärmt (Übersetzung aus dem Arabischen): "...What hair! What a chest! What a mouth! What cheeks! What a figure! What breasts! What thighs! What legs! What whiteness! What softness! Without any creams – no Nivea [!!!], no vaseline. ... There is no god but Allah. He told us that if you entered one of the palaces, you would find ten black-eyed virgins sprawled on musk cushions. ... When they see you, they will get up and run to you. .... When they get hold of you, they will push you onto your back, on the musk cushions. Allah Akbar! ... One of them would place her mouth on yours and do whatever you want. Another one would press her cheek against yours, yet another would press her chest against yours, and the others would await their turn..."

Ein anderer Kleriker, Al-Suyuti (gest. 1505 ), ging noch weiter in seinen Sex-Fantasien (Zitat von hier): "Each time we sleep with a houri we find her virgin. Besides, the penis of the Elected never softens. The erection is eternal; the sensation that you feel each time you make love is utterly delicious and out of this world and were you to experience it in this world you would faint. Each chosen one will marry seventy houris, besides the women he married on earth, and all will have appetising vaginas."

Zu früh gesabbert, meine Herren! Abgesehen davon, dass diese Idee keinen großen Sinn hat (Was ist mit weiblichen Märtyrern? Wie kann ein in Stücke gerissener Selbstmordattentäter noch irgendwas Erektionsähnliches zustandebekommen? Hat man dann auch 72 Schwiegermütter *graus*?) scheint es nun, als habe der Traum von 72 Gespielinnen einen empfindlichen Dämpfer bekommen. Ein deutscher Philologe und Semitist, der unter dem Pseudonym "Christoph Luxenberg" auftritt, schrieb im Jahre 2000 ein Buch, in dem er eine neue Lesart des Koran vorschlägt. Er ist der Auffassung, die damalige lingua franca in der Gegend sei nicht Arabisch gewesen, sondern Syrisch, ein Absprengsel des Aramäischen, das heute nur von Mindeheiten gesprochen wird. Liest man den Koran aber teilweise auf Syrisch, so treten erstaunliche Sachen zutage - unter anderem zeigt Luxenbergs Exegese, dass das Wort "hur" auf Syrisch nichts anderes bedeutet als "weiße Trauben".

Dies fügt sich sowohl gut in den Gesamtkontext der Sure 56 ein (die oben erwähnten "wohlbehüteten Perlen" passen viel besser zu Trauben als zu Frauen), als auch hat die ganze Idee des Paradieses ihren Ursprung in einem schlichten Garten (vgl. altiranisch "pairidaeza" - Park, Garten, Umfriedung). Da passen Sex-Orgien nicht so recht. Außerdem wird dem Gerechten an anderer Stelle versprochen, dass sie sich mit ihren irdischen Ehefrauen und Huris zusammen "im Schatten auf Teppichen" entspannen werden. Die "Zeit" bemerkt dazu nur genüsslich: "Ein Ort, an dem Ehefrauen und Gespielinnen aufeinander treffen, verdient wohl kaum den Namen Paradies".

Luxenbergs Buch, das Gelehrte von Princeton bis nach Beirut mit Interesse und Zustimmung angenommen haben, hat viele moderate Muslime zum Nachdenken bewegt. Ich werde aber, bis die neue Übersetzung widerlegt wird, mein Obst vorerst weiterhin im Supermarkt kaufen.

Sonntag, 15. Juni 2008

Y tu Mama tambien

Das hier links, lieber Leser, ist ein Dir ganz vertrautes Gesicht. Es ist, um es genau zu sagen, das erste Gesicht, das Du in Deinem Leben wahrnimmst. Ja, Du hast mich richtig verstanden - es ist Deine Mutter. Und: nein, ich will weder Deine Mutter beschimpfen noch Dich oder mich für verrückt halten. Lass es mich Dir erklären. Ich wette, ich kann's beweisen.



Wenn Babys auf die Welt kommen, sind sie in einem Schockzustand. Statt eines dunklen warmen flüssigen All-Inclusive-Hotels gibt es Licht und Gerüche und Schreie (meistens die eigenen) und Kälte. Das Leben fängt also richtig stressig an. Ja, wenn man sich denn erst mal richtig umsehen könnte... Und da fängt das Problem an: Neugeborene sehen nicht viel. Vielleicht erinnern wir uns erst mal daran, dass die Augen im Laufe der Evolution ziemlich unsinnig gebaut wurden. Nicht nur, dass das Bild auf der Netzhaut verkehrt herum ankommt. Nicht nur, dass das Licht, bevor es auf die Photorezeptoren trifft, durch sage und schreibe sechs Zellschichten samt Blutgefäßen hindurch muss, unser "Roh-Bild" also getrübt und von roten Fäden durchzogen ist. Nein, der arme Säugling hat dazu noch so schlechte Sehkraft, dass er keinen einzigen Führerscheintest bestehen würde: Er ist kurzsichtig und sieht nur bis zu einer Distanz eines ausgestreckten mütterlichen Arms (weiter muss es ja auch nicht sehen). Dessen nicht genug, er kann auch noch keine Farben unterscheiden und hat extreme Fokussierungsprobleme, so dass das Bild unscharf und ohne Details ist. Des weiteren leidet ein Neugeborenes unter schwerem Astigmatismus, so dass das Bild, gerade an den Rändern, verzerrt wird. Kurzum: Das Baby sieht richtig schlecht. Es muss andererseits ja auch nicht gut sehen, denn seine Mama übernimmt den Rest. Zudem bessern sich die Sehfehler innerhalb weniger Monate bis zur Normalität aus.

Nur: Wie sieht ein Baby denn dann das Muttergesicht? Unter der Berücksichtigung der obigen Sehfehler hat der Psychologe Frederick Malmstrom ein Foto einer normalen Frau wie folgt bearbeitet:




Längliches farbloses Gesicht mit prominenten Augen, hoher Stirn, langer Nase und keinen Gesichts- und Hautdetails - sieht es nicht dem typischen Alienbild ähnlich aus? Malmstrom zieht daraus den interessanten Schluss, dass die - meist unter Hypnose erhaltenen - Bilder eines Aliens das unbewusst in unseren Gehirnen gespeicherte "Muster-Bild" eines Menschen darstellen, das uns hilft, nach der Geburt unsere Mutter als solche zu erkennen. Ob das simmt, wird weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben. Es ist jedoch schon etwas unheimlich, dass der Mensch, der uns am nächsten, wärmsten und vertrautesten ist, für uns kurz nach der Geburt wie ein Monster aussieht. Von wegen also Ödipus-Komplex...

Freitag, 2. Mai 2008

Der Messias

Mal sehen, ob Du die Person erraten kannst, über die ich Dir gleich erzählen werde. Die Geschichte müsste Dir bekannt vorkommen, und Du kommst bestimmt drauf.

Die Person ist eher eine mythische. Niemand weiss, ob sie jemals existiert hat. Überlieferungen zufolge war es ein ganz besonderer Mann, der allerlei Wunder vollbringen konnte. Er verschwand, versprach aber wiederzukommen und ein neues Zeitalter einzuläuten, in dem alle glücklich miteinander leben werden und niemandem etwas fehlen wird. Er hatte mehrere Jünger, die ihn gekannt haben, von denen einer ein besonders eifriger Missionar war, der viel herumgekommen ist und viele Menschen überzeugt hat, der neuen Religion (deren Erkennungszeichen ein Kreuz war) beizutreten. Die Lehren des Propheten beinhalteten etwa das Gebot, gut zueinander zu sein, Bräuche zu befolgen, die die Gemeinschaft zusammenhielten, und allem Materiellen, insb. Geld, keine große Bedeutung beizumessen. Am Anfang wurde die frische Glaubensrichtung von der damaligen Besatzungsmacht unterdrückt - Anführer des neuen Kults wurden verhaftet, eingesperrt und drangsaliert. Die Religion überlebte jedoch und blüht bis zum heutigen Tage um so stärker fort, in ständiger Erwartung der Wiederkehr des Messias, dessen Geist aber solange unter uns weilt und zu dem man beten kann.

Na, erraten? - Jesus? Weit gefehlt! Die Rede ist von dem heiligen John Frum von der Insel Tanna im melanesischen Inselstaat Vanuatu. Die "Jo(h)n Frum (From) - Bewegung" entstand in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts, als amerikanische Soldaten scharenweise auf die Inseln kamen, um Militärbasen im Krieg gegen Japan zu errichten. Die Ureinwohner waren von den Fähigkeiten der Neuankömmlinge total begeistert - insbesondere davon, dass aus der Luft plötzlich Riesenladungen von Essen, Werkzeug, Waffen, Medikamenten und sonstigen Gegenständen ("Cargo") per Flugzeug ankamen. Die einzigen ersichtlichen außergewöhnlichen Aktivitäten, denen die weißen Menschen nachgingen, waren aber nur das Sitzen im Kontroll-Tower mit Kopfhörern, das Winken mit Signalfahnen auf der Flugzeuglandebahn und das Wälzen von Papier im Büro. Da keine dieser Handlungen unmittelbar die begehrten Güter produzierte, schlossen die Einheimischen daraus, dass es magische Handlungen waren, die die Götter verlangten, um aus der Luft, aus dem Nirgendwo Cargo abzuwerfen. Die Melanesier probierten, die Handlungen der Weißen nachzumachen - es half nicht. Irgenwas mussten sie falsch gemacht haben. Als die Soldaten nach Kriegsende abzogen, entstanden so verschiedene "Cargo-Kulte", von denen der erfolgreichste dem John Frum zugeschrieben wird. Ein Schelm, wer dabei an Soldaten denkt, die sich als "John from America" vorgestellt haben. Ob es ein John oder mehrere waren - jedenfalls schmolz aus den ganzen Geschichten am Ende eine mythische Figur zusammen, die wie oben beschrieben verehrt wird.

Die "John Frum - Religion" ist ein unbedeutender Kult auf Inseln am Ende der Welt, die keinen interessieren. Was aber, wenn es ein mächtigerer Staat gewesen wäre, der den Glauben dann als Staatsreligion etabliert und ihn nach außen verbreitet hätte? Wären wir dann vielleicht alle "Frumisten"? Und wenn ja - was wäre der inhaltliche Unterschied zum Christentum, Islam, etc., außer dass die Propheten und die Heiligen anders hießen? Eins ist jedenfalls klar: Wer ein Mann ist, schlechte Laune hat und ein bisschen Bestätigung braucht, sollte sich ein Ticket nach Tanna besorgen, am 15. Februar (dem John Frum Day) dort aus dem Flieger steigen und sich als John Frum vorstellen, in der Hand ein paar Sylvester-Feuerwerkskörper haltend. Dann ist der Tag sofort gerettet. "Air New Zealand" fliegt schon ab 1500 Euro.

Montag, 24. März 2008

Stehaufmännchen

Dies hier links ist ein ganz unscheinbarer Strand in Ostafrika. Wegen der dort herrschenden gefährlichen Unterwasser-Strömungen heißt er "Bab-el-Mandab" oder "die Tore des Kummers". Hier ist die schmalste Stelle im Roten Meer, und sie erzählt eine Geschichte von Wagemut, Angst und Hoffnung. Diese Geschichte wurde mit Hilfe modernster genetischer Methoden und Verfahren rekonstruiert. Und sie stammt nicht aus einem Groschenroman. ...Es war einmal eine unbedeutende Spezies von Säugetieren, die vor ca. 70.000 Jahren in Afrika lebte. Sie war weder besonders groß noch besonders schnell oder kräftig, und auch ihre Schönheit hielt sich in überschaubaren Grenzen. Sie ernährte sich im Prinzip von allem, was ihr begegnete - ein bisschen Obst, Wurzeln, Pilze, und jagen konnte sie auch halbwegs. Leider setzte ihr das Klima sehr zu - die damalige Eiszeit bewirkte, dass immer mehr Wasser in Form von Eis gebündelt wurde, so dass die Erde immer mehr austrocknete. Es kam die verhängnisvolle Eruption des Vulkans Toba hinzu, die die Erde durch Staubwolken noch weiter abkühlte. Essen wurde knapp. Die arme Spezies rettete sich zuerst noch durch das Sammeln von Meeresfrüchten am Strand, doch bald gingen auch hier die Vorräte zu Ende. Von den armen Tieren gab es auf der Erde nur noch ca. 2.000 Exemplare - sie waren nach heutigen Maßstäben vom Aussterben bedroht. Eine Gruppe von ihnen hockte hungrig am Strand von Bab-el-Mandab und zählte die Überlebenden. Es waren in dieser Gruppe 150, höchstens 200. Diese Spezies hieß homo sapiens. Sie war am Ende. Doch seht her! - auf der anderen Seite der Meeresenge lockten die Berge des heutigen Yemen. Dort gab es Futter im Überfluss - nur wie kommt man dahin? Hoch die Küste des Roten Meeres oder entlang des Nil? Wohl kaum - man musste die unwirtliche Sahara überwinden, die zu dieser Zeit besonders lebensfeindlich war. Was blieb, war das halsbrecherische Unternehmen der Überquerung der Wassermassen - 20 Kilometer Meer ohne jegliche Seemannserfahrung. Doch die Gruppe hat es geschafft. Von diesen 150-200 Menschen stammen wir alle, - abgesehen von einigen Afrikanerstämmen - wirklich alle ab (sog. mitochondriale Haplogruppe L3). Dies konnte man durch den Abgleich der mitochondrialen (von der Mutter vererbt) und später auch Y-chromosomalen DNA (vom Herrn Papa) feststellen. Sobald die Abenteurer auf der arabischen Halbinsel waren, konnten sie (bzw. ihre Kinder) entlang der Küste über Persien, Indien und Indonesien bis nach Australien vordringen. Seitenzweige gingen nach Europa und fegten die Neanderthaler weg. Dies hielt sie aber nicht davon ab, sich zuerst mit ihnen und mit den neu entdeckten sog. Denisova-Menschen zu vermischen. Die Menschheit wurde von einem ärmlichen Grüppchen letzter Überlebender zu einer 7 Milliarden Mann starken Armee. Eine wichtige Konsequenz aus der Tatsache, dass es damals nur 150 -200 Leutchen waren, ist die weitgehende genetische Ähnlichkeit der allermeisten Menschen. In einer Gruppe von Gorillas kann man eine größere genetische Vielfalt feststellen als in der gesamten Menschheit. Die Vorstellung von irgendeiner "überlegenen Rasse" können sich die braunen "Vordenker" auf die Nase schmieren - wir alle sind so nah miteinander verwandt, wie es kaum näher geht. Seltsame Gedanken gehen einem durch den Kopf. - Was ist, wenn die paar Desperados sich damals nicht getraut hätten? Wenn sie im Meer untergegangen wären? Wenn es auf der anderen Seite doch nicht soviel Nahrung wie erwartet gegeben hätte? Wären wir dann heute noch eine unbedeutende Säugetierunterart im äquatorialen Afrika? Oder hätten wir es bis heute gar nicht geschafft und wären von einem Virus, derer es in Afrika bekanntlich nicht zu wenige gibt, dahingerafft worden? Wer der Anführer der Gruppe gewesen ist, der damals die gefährliche Aktion vorgeschlagen hat, wie er hieß oder aussah, wissen wir nicht. Wir sollten jedoch ab und zu dankbar an ihn denken. Falls ich einmal Zeit und Geld habe, würde ich jedenfalls gern zu diesem Strand fahren, dort müßig Steine ins Wasser schmeißen und sehnsüchtig zum Yemen hinüberschauen. (Hier kann man die Wanderung seiner eigenen Vorfahren per DNA-Test herausfinden. Das Projekt hat zum Beispiel eine Griechin und einen Indianer zusammengeführt, die eine gemeinsame Ur-Mutter haben. Dies war das erste Wiedersehen der beiden fernen "Geschwister" seit 30.000 Jahren.)

Dienstag, 26. Februar 2008

Die Frechheit des Lebens

Ich werde jetzt mal zwei Aussagen in den Raum stellen, die sehr eng miteinander verknüpft sind. Wie - das erfährst Du am Ende dieses Beitrags. Nr. 1: Nylonstrümpfe zum Frühstück zu essen schmeckt scheußlich. Nr. 2: Wir sind mit Sicherheit nicht die einzige Lebensform im Universum.

Verwirrt? Zu Recht. Aber ich verspreche, dass zwei Absätze weiter die Sache aufgeklärt wird. Es geht nicht mehr und nicht weniger um die alte Frage, ob wir "allein im Weltall" sind oder ob es weitere Lebensformen gibt. Nein, ich meine nicht (nur) die grünen Lebewesen mit Antennen auf dem Kopf, die aus fliegenden Untertassen steigen. Sondern ganz allgemein die Frage, ob das Leben in seiner ganzen Komplexität, die wir auf der Erde beobachten können (unser Gehirn ist nachweislich das komplexeste Objekt, das Menschen je beobachtet haben) eine einzigartige Ausnahme in der öden kalten Dunkelheit da draußen ist.

Obwohl wir es wohl nie mit Sicherheit wissen werden - der Informationsaustausch im Universum ist begrenzt durch die Lichtgeschwindigkeit und daher aufgrund der unvorstellbar riesigen Entfernungen im All viel zu langsam - können wir zum Beispiel die Wahrscheinlichkeitsrechnung bemühen. Einerseits sind die Chancen für solch ideale Lebensbedingungen, wie wir sie auf der Erde haben, äußerst gering (mehr dazu hier). Andererseits aber: Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit, so ein 5-Sterne-Wellness-Hotel wie unsere Erde zu ergattern, nur - sagen wir - 0,0001 % wäre, muss man bedenken, wie unglaublich, unvorstellbar viele Sterne es gibt. Ein geflügeltes Wort unter Astronomen lautet, dass bereits im uns bekannten, beobachtbaren Universum es mehr Sterne gibt als Sandkörner auf allen Stränden der Erde. Und selbst wenn bei weitem nicht jeder Stern überhaupt Planeten hat, wird es unter den Abermilliarden der Gestirne ganz bestimmt eine Unmenge von günstigen Konstellationen geben.

Und wenn die Bedingungen halbwegs akzeptabel sind, lässt das Leben nicht lange auf sich warten. Das sieht man sehr schön an der Geschichte unseres Planeten. Eine Milliarde Jahre nach der Entstehung der Erde hat sich die Oberfläche halbwegs abgekühlt, und das ständige Bombardement durch Meteoriten hörte langsam auf. Ungefähr zur selben Zeit entstanden bereits primitive Lebensformen. Das Leben war also, sobald es die Umstände halbwegs zuließen, ziemlich schnell da und ist seitdem nicht von dem blauen Planeten wegzubekommen. Wo wurden sog. extremophile Lebensformen nicht schon gefunden - in kochend heißen Quellen (bis zu 113°C), schwefelsauren Schlammlöchern, unterirdischen Ölkloaken, sauerstofflosen und dunklen Berghöhlen oder hochkonzentrierten Salzlaken. Diese Mikrobenart überlebt das 1000-fache der für Menschen tödlichen Radioaktivitäts-Dosis, indem es seine komplett in Stücke gerissene DNA einfach wie ein Puzzle wieder zusammensetzt. Sogar im lebensfeindlichen Vakuum des Weltraums überleben diese Genossen hier. Es gibt neuerdings sogar Bakterien, die sich - der versprochene Spannungsbogen schließt sich! - von Nylon ernähren. Und wenn solche Gourmets vor unseren Augen überall zu finden sind - dann drängt sich der Gedanke auf, dass die Chemie des Lebens so beschaffen ist, dass es alle möglichen Formen annehmen und sich an alle denkbaren Lebensbedingungen anpassen kann. Und wir können uns außerdem nur auf das kohlenstoffbasierte nukleotidvererbende Leben beziehen, das wir kennen - der Fantasie bzgl. anderer biologischer Konzepte sind keine Grenzen gesetzt.

Das Leben scheint also ziemlich lebensfroh zu sein, außerdem frech und zäh. Allein im Universum - was für ein arroganter Gedanke!

Dienstag, 19. Februar 2008

Das Ende der Welt

"Some say, the world will end in fire, some say - in ice" schrieb einmal Robert Frost und hat damit nach dem jetzigen Stand der Forschung gar nicht so Unrecht. Das Ende der Welt, der Zeitpunkt, in dem alles, wirklich alles, was wir kennen, zu existieren aufhört, hat die Menschen schon lange beschäftigt. Lieder wurden darüber geschrieben, in religiösen Endzeitszenarien die schrecklichsten Dinge offenbart. Meistens geht die Welt dabei in einer gigantischen Katastrophe unter, wobei der Fantasie kein Tier zu abenteuerlich, keine Qual zu sadistisch und kein Schlacht-Tableau zu gigantomanisch ist. In Eis geht die Welt eher selten unter (ein Schelm, der dabei die höhere erzählerische Wirkung des Feuerinfernos gegenüber dem langweiligen Erkalten vermutet). Faszinierend war das Ende der Welt jedenfalls schon immer. Weltuntergangssekten-Mitglieder begingen sogar freiwillig scharenweise Selbstmord, damit sie, der irdischen Apokalypse entgangen, auf fernen Planeten ein neues Leben mit ihren Astralkörpern anfangen konnten. Inzwischen wissen wir ziemlich genau, wie das Ende der Welt ablaufen wird - je nachdem, was man als den Weltuntergang definiert, wird er, frei nach Robert Frost, sehr heiß oder eisig kalt.

Wenn wir auf unsere Erde abstellen, dann sollten wir uns in ca. fünf Miliarden Jahren eine gute Sonnencreme besorgen. Denn dann wird sich die Sonne aufgrund von veränderten Kernfusionsprozessen zu einem "roten Riesen" aufblähen, der Merkur und Venus verschlucken und die Erde rösten wird. Mit verdampften Ozeanen und Oberflächentemperaturen von über 1000 Grad lässt sich schwer überleben.

Erschreckend? Nein, nicht doch. So weit wird es nämlich gar nicht kommen. Schon zwei Milliarden Jahre zuvor wird es nämlich einen kapitalen Zusammenstoß geben zwischen der Milchstraße und der Andromeda-Galaxie (hier eine Animation). Sie fliegen zurzeit ziemlich genau aufeinander zu. Sterne werden aufeinanderprallen, Gravitationswellen die Raumzeit erschüttern, die Laufbahn der Sonne und der Planeten verzerren und die Erde entweder in die Sonne stürzen oder von der Sonne wegziehen, damit sie von umherfliegenden Asteroiden und sonstigem Kollisionsmüll getroffen werden kann.

Feuer, Feuer überall - was ist denn mit dem Eis? Nun, dann müssen wir das wirkliche Ende der Welt abwarten - das Ende des ganzen Universums. Die geheimnisvolle "dunkle Energie", die die Ausdehnung des Universums immer weiter voranpeitscht, legt den Schluss nahe, dass es immer mehr und immer weiter expandieren wird. (Daher ist unsere Zeit übrigens die einzige Zeit in der Geschichte des Universums, in der wir Rückschlüsse auf dessen Entstehung ziehen können. Irgendwann in Zukunft wird aufgrund der immer stärker werdenden Ausdehnung des Weltalls kein einziger Stern am Himmel außerhalb der eigenen Galaxie mehr zu sehen sein - man wird also fälschlicherweise von einem statischen Universum ausgehen!) Am Ende gibt es schließlich den Kältetod. Die letzten Sterne sind verloschen, die Atome auseinandergefallen, ein dunkles, leeres, unendlich weites Nichts auf dem absoluten Temperaturnullpunkt (-273 °C) gähnt uns entgegen. Die Welt endet also im Eis. Aber bis dahin haben wir noch eine Menge Zeit, uns gegenseitig mit Massenvernichtungswaffen abzuschlachten, die Erde bis zur Unerträglichen zu verpesten und neuen Viren-Generationen zu erliegen. Genießen wir also die fröhliche Aussicht!


Montag, 28. Januar 2008

Der nicht allzu freie Wille

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Entschieden? Und wenn ja – aus freien Stücken?


Wer über eigene Gedanken nachdenken und über eigene Entscheidungen entscheiden will, kommt schnell in Schwierigkeiten. So ist auch die alte Frage nach dem "freien Willen" des Menschen viel diskutiert, aber bis heute nicht letztverbindlich gelöst worden. Der freie Wille des Menschen wurde in der westlichen Theologie und Philosophie seit St. Augustin zur Erklärung dafür bemüht, warum Gott trotz seiner angeblichen Güte und Allwissenheit den Sündenfall mit all seinen Konsequenzen hat geschehen lassen; er galt auch als ein wesentlicher Unterschied zwischen dem „göttlich beseelten“ Menschen und den „einfältigen“, instinktgetriebenen Tieren. Die neuesten Ergebnisse der Hirnforschung bringen etwas mehr Licht in die Debatte und können den Streit aus bloß theoretisch-abstrakten Erörterungen der letzen Jahrhunderte ein wenig auf den Boden der Tatsachen bringen.

Etwas zu wollen, ist das Natürlichste der Welt. (Es gibt eine auf eine makabre Weise lustige Krankheit, aufgrund der Menschen wirklich nichts mehr wollen - und es sie aber gar nicht stört). Jedoch gibt es hier zunächst die überraschende Erkenntnis, dass unser "Wille" weitaus seltener aktiv wird, als wir annehmen. Zu viele Prozesse laufen automatisch ab, bedingt teilweise durch skurrile Kleinigkeiten. So hat John Bargh von der Uni Yale in einem Experiment gezeigt, dass Studenten, wenn sie altersbezogene Worte wie "Falten, grau, müde, krank" lasen, im Anschluss darauf langsamer gingen als eine Vergleichsgruppe. Sie machten sich damit die eben gelesenen Attribute zu eigen, ohne sich dessen auch nur im Geringsten bewusst zu werden. Menschen, auf die von einem Plakat (!) ein paar Augen hinabschauten, benahmen sich unbewusst ehrlicher als sonst, wurde in einem anderen Versuch festgestellt. Personen, die sich in einen Professor hineinversetzt hatten, schnitten bei Trivial Pursuit besser ab als die, die einen Fußball-Hooligan vor den Augen hatten. Und selbst die (idealerweise) freiste und wohlüberlegteste Entscheidung, die es geben kann - ein Richterspruch - hängt offenbar zu einem Großteil doch von ganz profanen Faktoren wie dem Hungergefühl ab. Wir haben uns selbst also schon ganz allgemein viel weniger unter Kontrolle, als wir glauben.

Aber wenn der Mensch mal dazu kommt, sich bewusst zu entscheiden, und die Entscheidung "frei" sein soll, setzt dies zunächst voraus, dass er bei der Entscheidungsfindung keinen von ihm empfundenen Zwängen unterliegt - darin sind sich alle einig. Wenn er will, kann er den rechten Finger heben – oder den linken. Ein Verbrechen begehen – oder gesetzestreu bleiben. Reicht das schon für die Annahme der Willensfreiheit? Oder soll die Entscheidung vielmehr frei von jeglichen Beschränkungen, ja Ursachen, aus einer Art autonomen, unabhängigen Black Box entspringen? Wohl nicht - denn das Universum unterliegt kausalen Prozessen. Und so hat die Neurophysiologie in den letzten Jahren eins völlig unbestritten gezeigt: dass alle Denkprozesse eine naturalistische Grundlage in Gehirnaktivitäten haben. Eine Entscheidung als elektrochemischer Vorgang im menschlichen Gehirn muss also ebenfalls streng kausal bedingt sein. Eine "Entscheidung", bei der das Gehirn kraft "freien Willens" die Gesetze der Physik verlässt und sich nicht-kausal und damit gleichsam zufällig entscheidet, würde alles andere sein als meine eigene. Es wäre eine Nicht-Entscheidung, ein aus dem Vakuum entspringender Prozess, dem ich erstaunt zuschauen würde. Eine Entscheidung wird erst dann "frei", wenn sie durch mich (durch meine bisherigen Erlebnisse, Charaktereigenschaften, gegenwärtige Stimmung etc.) bedingt ist. Voraussetzung der so verstandenen Freiheit (besser: Selbstbestimmtheit) ist damit ironischerweise Determination.

Eckart von Hirschhausen hat es treffend ausgedrückt - das Bewusstsein ist nicht die Regierung, es ist eher der Regierungssprecher, der die bereits getroffenen Entscheidungen in schöne Worte kleiden und nach außen vertreten muss. Das macht auch aus der evolutionstheoretischen Sicht Sinn: Die Annahme eines Bewusstseins, das das Unbewusste vollständig unter Kontrolle hat, ist nicht plausibel. Denn der Bereich des Gehirns, der für das Bewusstsein verantwortlich ist (Großhirnrinde oder Cortex), ist um Hunderte von Jahrmillionen später entstanden als das ursprüngliche, unbewusst instinktgetriebene „Reptiliengehirn“. Dass der „Neuling“ gleich die Kontrolle über den ganzen „Laden“ übernimmt, wäre – wie auch im realen Leben – wenig wahrscheinlich. Zudem sind mit der Zeit immer mehr geistige Phänomene, die früher als unerklärbar oder sogar Ausdruck des Spiels böser Mächte galten - etwa Epilepsie - auf eine naturalistische Grundlage gestellt und "entzaubert" worden. Ist aber eine unheimliche äußere Macht keine Ursache für neurologische Prozesse mehr - wie kann es dann eine unheimliche innere Macht sein, die die Naturgesetze in den Nervenverschaltungen überwindet?

Und nun? Sind wir also alle Roboter, Puppen und Bio-Mechanismen? Zu einem gewissen Grad schon, denn unsere Entscheidungen sind determiniert – auch wenn wir aufgrund der irrsinnigen Komplexität des menschlichen Gehirns sie nie mit Sicherheit werden vorhersagen können. Das macht aber nichts - wir haben (im Gegenstz zu echten Robotern) einen Willen, den wir subjektiv - völlig zu Recht - als frei bezeichnen würden. Wir haben Gründe, die uns zu Handlungen bewegen. Lässt man jedoch einen Menschen eine Entscheidung treffen und spult man dann die Zeit 100 Mal zurück, gibt es gute Gründe anzunehmen, dass er 100 Mal sich genau gleich entscheiden wird - im vollen Bewusstsein, frei zu handeln. Das ist der verwirrende, aber miteinander trotzdem zu vereinbarende Widerspruch zwischen der Erste- und der Dritte-Person-Perspektive. Um den großen Schopenhauer leicht abzuwandeln: Wir können zwar tun, was wir wollen, aber wir können nur das wollen, das wir in diesem Moment zwingend wollen müssen.
(Siehe hier zu den Auswirkungen des fehlenden Anders-Handeln-Könnens auf das Strafrecht)

Mittwoch, 9. Januar 2008

Von Äxten, Schiffen und Seelen

"Das ist die Axt meines Großvaters", pflegen Amerikaner manchmal zu sagen. "Ihr Kopf wurde zwar schon dreimal ausgetauscht und ihr Griff viermal, aber es ist immer noch dieselbe gute alte Axt meines Großvaters". Dieser augenzwinkernde Spruch ist eine gute Einführung in das Problem der Identität. Was meinen wir, wenn wir "dasselbe" sagen? Und was muss man verändern, damit "dasselbe" zu lediglich "dem Gleichen" wird? Eine ältere, etwas zivilisiertere Variante der Fragestellung ist neben vielen anderen Metaphern das sog. Schiff des Theseus, bekannt geworden in einem Werk von Thomas Hobbes, aber erdacht wahrscheinlich schon von Plutarch. Nehmen wir an, es fährt ein Schiff aus dem Hafen A. Während es segelt, verrotten nach und nach alle Planken, aus denen es besteht. Sie werden jedoch dann umgehend durch neue ersetzt. Als das Schiff im Hafen B ankommt, besteht das Schiff aus keiner einzigen "Original-Planke" mehr, da alle inzwischen durch neue ausgetauscht wurden. - Ist es immer noch "dasselbe Schiff"? Wenn man aus den neuen Bauteilen gleich am Anfang ein zweites Schiff gebaut hätte, würden wir bestimmt sagen - nein, es sei nicht dasselbe Schiff, nur ein baugleiches. Aber wenn die Planken nach und nach in das alte Schiff eingebaut werden, wie in unserem Beispiel, dann tendieren die meisten dazu zu sagen, das ankommende Schiff im Hafen B sei dasselbe. Warum? - Es hat dieselbe Identität, dieselbe Geschichte.

"Ich" ist eins der meistbenutzen Worte in unserer Sprache, doch was meinen wir eigentlich damit? Was veranlasst uns dazu zu sagen, wir sind "derselbe Mensch wie vor einem Jahr"? Unser Körper? - bestimmt nicht. Denn wie im Schiff des Theseus wird unser "Baumaterial" regelmäßig erneuert - alte Zellen sterben ab, neue entstehen an ihrer Stelle, die genauso aussehen und genau dieselbe Funktion erfüllen - wie die Bretter des Schiffs. Unser Körper - und das ist die gute Nachricht für alle, die nicht altern wollen - wird nie älter als 7 - 10 Jahre. Lediglich einige Nervenzellen im Gehirn bleiben immer die alten. Statistisch gesehen sind sie jedoch vernachlässigenswert. Und selbst in diesen "änderungsresistenten" Zellen werden die Bausteine - organische Moleküle - immer wieder ausgetauscht. Einer konstanten Körperlichkeit würden wir also vergeblich hinterherjagen - die gibt es nicht. Zudem würde sie unserem Bild vom "Ich", dem denkenden, fühlenden Wesen, das jeder von uns ist, nicht gerecht werden. Denn ohne Bewusstsein sind wir nichts als austauschbares organisches Gewebe.

Bei den sog. "siamesischen Zwillingen" denken wir alle zu Recht, dass zwei Ichs in einem Körper vereint sind. Unsere Identität und Individualität hat demnach nur indirekt etwas mit unseren Körpern zu tun - entscheidend ist der Geist. Das "Ich" als Person entsteht frühestens, wenn das Bewusstsen einsetzt. So wie man beim einem Hirntoten annimmt, die Person sei gestorben, und dem gerade noch lebenden Körper dürfen Organe entnommen werden, ist umgekehrt keine Person bei einem Embryo im 8-Zell-Stadium denkbar. Das "Ich" ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht entstanden.

Jedoch lässt sich auch die Kontinuität unseres so verstandenen "Ichs" in der Zeit anzweifeln. Man könnte meinen, es wären die Erinnerungen, der gesamte Schatz an Lebenserfahrung, den ich angesammelt habe, der von mir zurückgelegte Weg, der "mich" ausmacht. Oder meine Charaktereigenschaften, die meine Persönlichkeit beschreiben? Beides überzeugt nicht ganz: Unsere Erinnerungen an die Vergangenheit schwinden, je mehr wir uns auf unserem Lebensweg fortbewegen. An besondere Erlebnisse können wir uns noch erinnern, aber den Rest vergessen wir. Nur die aktuellen Ereignisse sind noch halbwegs präsent. Oder kannst Du Dich noch daran erinnern, was Du vor 8, 18, 28 Jahren so gemacht hast, was Dir wichtig war, was Dich herumgetrieben hat? - Höchstens in sehr groben Zügen. Auch unser Charakter ändert sich ständig - ohne dass wir uns darüber im Klaren sind. Jetzt gerade fühlen und benehmen sich die meisten von uns doch erheblich anders als in der Pubertät. Was bleibt also über die Zeit übrig? Vielleicht ist diese - möglicherweise unterbewusste - Sehnsucht nach Konstanten in einem sich ständig veränderten Selbstbild und Selbstverständnis das, was unsere Vorfahren zu der Annahme veranlasst hat, es gäbe irgendeine mysteriöse "Seele", die immer dieselbe bleibt, trotz aller äußeren und inneren Veränderungen in uns.

Die Annahme einer "Seele" beantwortet aber nichts, sondern ist - genauso wie der Begriff eines Gottes - eine Joker-Karte ohne richtige Bedeutung. Wir sind nun mal ein Geist in der Maschine des Körpers - aber auch insoweit nichts Konstantes, nichts Identisches, sondern etwas Diffuses, sich ständig Veränderndes, Anpassendes und sich Fortentwickelndes - wie das Leben höchstselbst.