Dienstag, 10. Juli 2012

Unsere stillen Kompagnons

Es gibt viele Argumente gegen das Essen von Fleisch aus der heutigen Massentierhaltung - sie schadet der Umwelt, der Gesundheit der Menschen, und ist ineffizient, was die Energieausbeute für den Konsumenten angeht. All diese Gründe werden immer in Debatten angeführt, doch das eigentlich stärkste Argument - nämlich das ethische - wird oft unter den Tisch fallen gelassen. Das ändert aber nichts daran, dass der grundlegende ethische Vorwurf des Fleischkonsums in der heutigen Form zu Recht erhoben wird. Beim Otto-Normalbürger sind entweder ein komplettes Ausblenden des Problems zu beobachten (häufigster Fall), hilfsweise klägliche Versuche, den Zeigefinger schwingenden Vegetarier lächerlich zu machen, oder um so haarsträubendere Rechtfertigungsanläufe. Letztere werden aber mit so einer ernsten Miene vorgetragen, dass man doch glatt denken könnte, sie seien ernst gemeint. Nachfolgend daher eine kleine Auswahl, und die Gegenargumente, die ich vortragen würde.

These: Es ist ethisch verkehrt, ein mit Bewusstsein ausgestattetes Wirbeltier sein Leben lang unter fragwürdigen Bedingungen eingesperrt zu halten und dann zu töten, nur weil man 10 Minuten lang ein angenehmes Gefühl im Mund haben will. Dieses zugefügte Leid bedarf einer Rechtfertigung, die es aber nicht gibt.

Gegenargumente (?)

Aber es gibt doch einen signifikanten Unterschied zwischen Tieren und Menschen!

So, welchen denn? Ja, zugegebenermaßen ist der Mensch schlauer. Aber warum sollen ausgerechnet seine geistigen Fähigkeiten ihn über andere Arten erheben? Der Gepard kann am schnellsten laufen, vielleicht ist er ja die Krone der Schöpfung. Oder ein Chamäleon, weil er die Körperfarbe wechseln kann? Ein Krokodil oder ein Hai, diese Champions der Evolution, weil es sie in fast unveränderter Form schon seit Millionen von Jahren gibt? All diese Eigenschaften sind marginale Unterschiede. Von Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und Tieren, die wir essen, gibt es hingegen bedeutend viel mehr. Entscheidend sind insbesondere das Bewusstsein und die Fähigkeit Lust und Leid zu spüren. Und auf diese kommt es an, da es falsch ist, Leid zuzufügen, egal welcher biologischen Spezies.

Aber die ethische Gleichsetzung von Mensch und Tier ist doch realitätsfremd: Aus einem brennenden Haus würde doch jeder lieber das Kind als den Hund retten, wenn die Wahl bestünde!

Hier muss man unterscheiden zwischen Tod und Leiden: Das Leid des Küken beim Kürzen des Schnabels und des Menschen beim Abschneiden der Nase ist gleich, das kann jeder erkennen, ohne je ein Küken gewesen zu sein. Was den Tod angeht, so kann man dagegen mit guten Gründen das Ableben eines Menschen als nicht von derselben moralischen Wertigkeit ansehen wie das einer Kuh. Denn das Tier verfügt (mit einigen Ausnahmen etwa bei den Menschenaffen) über kein Selbstbewusstsein, keine Vernunft, lebt ausschließlich im Augenblick und hat daher durch seinen Tod viel "weniger zu verlieren" als ein Mensch - es verliert zB nicht seine Pläne für die Zukunft oder die Sinngebung für sein Leben. Ein schützenswertes Interesse daran, weiterzuleben kann nur ein Wesen haben, das weiß, dass es ein Weiterleben in einer Zukunft überhaupt gibt. Wächst eine Kuh auf einem idealtypischen 5-Sterne-Bauernhof mit Erfüllung aller Bedürfnisse auf, könnte man deshalb über ein schmerz- und stressfreies Töten dieser Kuh reden. Die Zustände in der gegenwärtigen Intensivtierhaltung, die teilweise an Konzentrationslager erinnern, sind von diesem Ideal aber sehr weit entfernt. Es ist vornehmlich die Qual während des Lebens der Tiere, die zählt, und die mit den 10 Minuten Geschmackserlebnis beim Steak-Essen in keiner Weise aufgewogen werden kann.

Aber es ist widersprüchlich, Tiere nur zu Inhabern von Rechten zu machen, ohne dass sie Pflichten haben. Sie kümmern sich ja nicht um die Rechte von uns Menschen.

Es gibt auch unter Menschen Rechtssubjekte ohne Pflichten - ein Baby zB hat Rechte, man kann aber von ihm nicht vernünftigerweise fordern, dass es seine Windeln nicht vollmacht.

Aber in Freiheit würde es Kühen und Hühnern doch viel schlechter gehen - so sind sie wenigstens genährt, sitzen im Trockenen und fallen keinem Wolf zum Opfer!

Es ist schon seltsam, das Leid der Tiere mit dem hypothetischen größeren Leid anderer Tiere zu rechtfertigen. Genauso gut kann man als Elternteil sagen: "Ich gebe meinem Kind zwar zu wenig zu essen, aber Kinder in Afrika haben ja noch viel weniger." Das sind andere Kinder, deren Leid man nicht direkt verursacht. Genauso ist das hypothetisch in Freiheit (schlecht) lebende Huhn ein anderes Huhn als das, dem man Qualen zufügt.

Aber es ist ein Gesetz der Natur, dass Tiere sich von anderen Tieren ernähren!

Wunderbar: Lasst uns unsere moralischen Standards von Wölfen und Tigern abschauen! "Warum isst Du Fleisch?" - "Na ja, der Wolf von nebenan macht's ja auch!" Das Argument ist natürlich aus zwei Gründen unsinnig. Erstens: Warum ausgerechnet die Fleisch fressenden Tiere als "Vorbild" nehmen und nicht die Pflanzenesser? Zweitens: Fleisch fressende Tiere haben keine Wahl, sie wissen nicht, wie man sich anders ernährt. Menschen schon.

Wollen Sie damit sagen, all die Millionen Menschen, die Fleisch essen, seien moralische Krüppel? Es ist nun einmal gesellschaftliche Konvention, dass es einerseits Haustiere, andererseits Nutztiere gibt. Das ist beleidigend!


Gesellschaftliche Übereinkünfte ändern sich mit der Zeit, nachdem sich die Erkenntnis durchsetzt, dass sie änderungsbedürftig sind. Ein Mensch, der eine gesellschaftlich akzeptierte, aber ethisch dennoch falsche Handlung vornimmt, ist nicht gleich ein Monster, sondern - eben ein Mensch, der eine ethisch falsche Handlung vornimmt. Darin ist keine Beleidigung enthalten, sondern eine Anregung zum Überdenken. Ob Nutztier (zum Ausbeuten) oder Haustier (zum Kuscheln) ist eine völlig willkürliche Unterscheidung, die je nach Land oder Kultur variieren oder auch ins völlige Gegenteil verkehrt werden kann.

Beide Seiten sollten einfach tolerant sein und einander nicht missionieren!

Dasselbe Argument würde man von einem Sklavenhalter des 18. Jahrhunderts hören, wenn man ihn nach der moralischen Rechtfertigung fragte. Toleranz ist fehl am Platz, wenn es um Leiden anderer geht.


Aber das Fleisch braucht man zur gesunden Ernährung!

Nein. Man muss sich einfach ein wenig Mühe geben.


Was bleibt also? Die Tatsache, dass das Quälen von leidensfähigen Lebewesen zum Zweck des nachfolgenden Verspeisens Unrecht ist. Wie weit jeder das bei seiner Diätgestaltung berücksichtigen will, bleibt ihm oder ihr überlassen; man sollte aber immer das notwendige schlechte Gewissen mit sich tragen und daran denken, dass die "Nutztiere", unsere stillen Kompagnons, nur deshalb massenhaft misshandelt und getötet werden, weil sie sich nicht wehren können. Wir können also nur so gut zu ihnen sein, wie wir selbst beschließen.