Diesen Beitrag zu schreiben fällt mir schwer - komme ich doch intellektuell vom selben Ort wie die meisten meiner Leser. Astrologie - so ist die gängige Übereinkunft - ist doch diese tumbe Schwester der Astronomie und verhält sich zu dieser wie sich Alchemie zur Chemie verhält. Alte Märchen aus einer Zeit, in der Menschen noch gar nichts so recht über das Universum wussten und sich Unsinn zusammenreimten. Horoskope kennt man eigentlich nur aus Zeitschriften, wo offenbar der Praktikant auf der letzten Seite unbedingt noch etwas Inhalt hineinpressen musste und einem Mitte nächster Woche die Begegnung mit der großen Liebe des Lebens prophezeit.
Klar ist auch: Menschen
deuten gerne allgemeine Aussagen so, dass sie zum eigenen Welt- und Selbstbild passen.
So gab es 1979 ein wunderschönes Experiment:
Man hat einer Vielzahl von Menschen angeblich für sie maßgeschneiderte
Horoskope zu lesen gegeben und sie danach gefragt, wie genau ihre
Persönlichkeit beschrieben wurde. Mehr als 90 % waren begeistert. Was
sie nicht wussten: Man hatte ihnen das exakt gleiche Horoskop gegeben -
das eines Massenmörders.
Also - causa finita? So einfach ist es dann aber doch nicht. Die eingangs beschriebene Karikatur der Astrologie kann und sollte tatsächlich niemand ernst nehmen. Sie wird aber auch von niemandem ernsthaft vertreten. Bevor man sich also an die Demontage wagt, sollte man zunächst verstehen, was konkret man demontieren will.
Himmelskörper stehen im modernen Verständnis der Astrologie nicht - nicht! - für konkrete Ereignisse. Sie symbolisieren Prinzipien, Archetypen, Schablonen, die sich auf vielfältige Weise in unserem Leben ausdrücken können:
Saturn steht etwa für: Beschränkung, Verhärtung, Verlust, Stillstand.
Pluto steht für: Intensität, Transformation, Tod, Abgründe.
Zu einem beliebigen Zeitpunkt stehen Himmelskörper an Positionen in einem 360- Grad- Diagramm. Himmelskörper können demnach beispielsweise in "harten Aspekten" zueinander stehen, also genau gegenüber (180°), genau an derselben Stelle oder genau quer (90°). Harte Aspekte verstärken, steigern und entfesseln das, was Himmelskörper symbolisieren.
Na dann schauen wir einmal auf die letzten 100 Jahre: Saturn und Pluto (Bedeutung siehe oben) standen zueinander in harten Aspekten im:
Sommer 1914 (Beginn 1. Weltkrieg)
Anfang 1930 (Weltwirtschaftskrise)
Spätsommer 1939 (Beginn 2. Weltkrieg)
Frühling 1948 (Beginn Kalter Krieg + Nahostkonflikt)
Nach einigen kleineren Verwerfungen (jeweils Vietnam-, Jom-Kippur-, Sechstagekrieg & Beginn der Aids-Epidemie) kamen dann wieder die Hammer:
Spätsommer 2001 ("9/11" und die nachfolgenden Kriege)
Herbst 2008 (Kollaps von Lehman Brothers und die Weltfinanzkrise)
Januar 2020 (der Zeitpunkt, zu dem das Sars-CoV2-Virus nicht mehr kontrollierbar wurde)
Es gibt noch viele weitere Vorkommnisse, so etwa 1348 (Beulenpest in Europa) und 1618 (Beginn dreißigjähriger Krieg). Aber fürs Erste wird ein Muster erkennbar.
Und nun? Was folgt aus diesem Muster? Der rein physikalische Einfluss der Sterne oder Planeten im Moment der Geburt auf den Menschen ist verschwindend gering. Von den vier bekannten Kräften der Physik erreicht im Regelfall nur die Gravitationskraft der Himmelskörper das Neugeborene. Und da die Gravitation mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt, übt die Hebamme eine um ein Vielfaches höhere Kraft auf das Baby aus als Uranus.
Das bedeutet, dass man anhand der Astrologie konkrete Ereignisse in der materiellen Welt nicht hinreichend sicher vorhersagen kann, dies schon aufgrund der Unschärferelation nicht, die eine in die Materie eingebaute grundsätzliche Messunsicherheit darstellt. Was also die Astrologie "misst" und "abbildet", sind mentale Zustände, psychische Befindlichkeiten. Astrologen wollen also herausgefunden haben, dass mit den Zyklen der Himmelskörper auch Zyklen des gedanklichen und gefühlsmäßigen Erlebens einhergehen, die Menschen beeinflussen können. Das ist alles, was die Astrologie nach dem modernen Verständnis zum Gegenstand hat. Kein Astrologe wird vorhersagen können (und wollen), wann man eine Gehaltserhöhung bekommt. Jedoch ist die Ambition, dem Menschen sagen zu können, was er zu welchem Zeitpunkt ungefähr denken, wollen und fühlen wird, und welche Phasen in seinem Leben hinterher eine besondere Bedeutung für ihn haben werden.
Das ist, auch wenn man demnach den wissenschaftlich-positivistischen Anspruch deshalb fallen lassen muss, schon ziemlich viel. Das Universum scheint, wenn man dieser Theorie folgt, ein eingebautes mentales Element zu besitzen, welches zyklisch auf Menschen einwirkt. Die Frage, wie das denn praktisch vonstatten gehen soll, woher sich denn diese Zyklen des mentalen und psychischen Erlebens ergeben, und welche Mechanismen dem zu Grunde liegen, ist der Naturwissenschaft weitgehend entzogen. Damit können einige Leser das Thema - nachvollziehbar - nunmehr wieder für irrelevant erklären, einige andere jedoch könnten neugierig werden. Eine "ernsthafte" astrologische Beratung kostet immerhin über 100 € pro Stunde; es sollen von Akademikern bis zu Vorständen von börsennotierten Unternehmen alle möglichen Leute ohne Verdacht auf primitive Leichtgläubigkeit diesen Rat einholen. Man darf weiter gespannt bleiben.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen