Wir haben uns schon an einer anderen Stelle mit der Frage beschäftigt, ob der Mensch einen freien Willen hat. Das Ergebnis war, dass, unabhängig davon, wie man den "freien WIllen" versteht, der Mensch sich jedenfalls unter den ganz konkreten Bedingungen des Einzelfalls - also seiner Lebensgeschichte, seiner Erfahrungen, der von ihm als wichtig eingestuften Entscheidungskriterien, seiner augenblicklichen Stimmung etc. - jeweils nur auf eine einzige Weise entscheiden kann. Spult man die Zeit 100 Mal zurück und lässt den Menschen die Entscheidung nochmal vornehmen, wird er jedes Mal zum selben Ergebnis kommen.
Die Frage, die sich dann aber ergibt ist: Wofür bestrafen wir eigentlich die Verbrecher? Wir werfen ihnen nämlich jedesmal vor (juristische Kategorie der persönlichen "Schuld"), dass sie sich bewusst gegen das Recht und für das Unrecht entschieden und die Untat begangen haben. Sollen wir jetzt etwa das ganze Strafrecht überdenken? Man stelle sich einen Gerichtssaal und den folgenden Dialog zwischen Verteidiger und Staatsanwalt vor:
Staatsanwalt: Nach dem Ergebnis der Ermittlungen steht fest, dass Sie die Mona Lisa gestohlen haben! Hinter Gitter mit Ihnen!
Verteidiger:
Nicht so voreilig! Mein Mandant hat zwar seine Tat gestanden. Ich beantrage trotzdem Freispruch! Was Sie vielleicht auf den ersten Blick verwundert, ist beim genaueren Hinschauen und aufrichtigem sowie scharfem Nachdenken zwingend. Denn sehen Sie, mein Mandant konnte in dem Augenblick ja gar nicht anders handeln, als die "Mona Lisa" zu stehlen. Da es einen "freien", in der Luft hängenden Willen nicht gibt, war die Entscheidung meines Mandanten ein unvermeidbares Produkt unzähliger Faktoren, die unterschiedlicher nicht sein können, aber alle für seinen Entschluss von gleichem Gewicht sind! Die konkreten elektrischen Ströme in seinem Gehirn im Moment der Entschlusses zum Diebstahl waren das Ergebnis seiner schweren Kindheit, seiner desolaten finanziellen Situation, aber auch schon der reinen Tatsache seiner Geburt, der Geburt seiner Mutter und Großmutter und Millionen weiterer kleiner oder großer Ursachen. Letztlich haben seinen Diebstahl auch zwingend verursacht die Renaissance, das Aussterben der Dinosaurier und der Urknall. All diese Ereignisse und Umstände verknüpft eine ununterbrochene Ursachenkette, die tragischerweise in dem Einbruch ins Louvre gemündet hat. Aber er konnte nichts dafür! Die elektrischen Impulse in seinem Kopf sind zwar das letzte Glied in der Ursachenkette, aber es ist ein zufällig herausgepicktes Glied von Millionen anderen. Bestrafen Sie doch seine Mutter, dass sie ihn geboren, oder Leonardo da Vinci, dass er das Bild erst gemalt hat! Dass Sie, Herren Richter, jetzt nicht an seiner Stelle stehen, verdanken Sie nur dem glücklichen Zufall, dass diese endlose Ursachenkette Sie nicht zu den Gaunern in die Gosse, sondern auf den Richterstuhl gebracht hat. Wollen Sie meinen Mandanten wirklich nur dafür bestrafen, dass er in der Lotterie der blinden Kausalität zufälligerweise Pech hatte?
Staatsanwalt:
Aber Herr Verteidiger, überlegen Sie sich doch mal die Konsequenzen! Erstens gibt es keinen zwingenden Schluss vom Sein zum Sollen. Dass der Mensch in seinen Entscheidungen nicht frei ist, mag eine naturwissenschaftliche Tatsache sein. Jedoch folgt daraus für unser Gerechtigkeitsempfinden, unser Wertesystem, das nun mal eine Bestrafung von Straftätern vorsieht, erst einmal nichts. In unserer Gesellschaft haben wir nämlich die subjektive und auch inter-subjektive Vorstellung, dass der Mensch als autonom handelndes Wesen Letzturheber seiner Taten ist, und nicht das Aussterben der Dinosaurier. Dieser gesellschaftliche Konsens ist wie ein Menü im Restaurant: Wenn es dort eine kostenlose und eine kostenpflichtige Speise gibt, und Sie die kostenpflichtige auswählen, können Sie dem Kellner beim Kassieren ja auch nicht erzählen, Sie hätten sich zwanghaft dafür entschieden und möchten deshalb nicht bezahlen. So sind nun mal die Spielregeln, Herr Verteidiger. Und zweitens bedenken Sie - wenn wir jemand nicht mehr für seine Schuld bestrafen können, können wir auch niemanden für seine Verdienste loben! Das Ergebnis Ihrer Sichtweise wäre eine gefühllose Welt voller humanoider Maschinen, denen man das Personendasein absprechen, und deren Handlungen man wie gutes oder schlechtes Wetter hinnehmen müsste. Unser Selbstverständnis als Mensch steht hier auf dem Spiel! Waren Shakespeare und Beethoven auch nur Automaten? Und stellen Sie sich vor, Ihre "Erkenntnis" würde sich herum sprechen - Verlust jeglicher Verantwortung wäre die Folge; jeder könnte sich mit den Worten "Ich konnte nichts dafür" in die Straffreiheit retten.
Verteidiger:
Ich verlange ja keine völlige Sanktionenfreiheit für den Angeklagten - ich plädiere nur für einen Paradigmenwechsel im Strafrecht. Sie, Herr Staatsanwalt, schimpfen ja auch nicht auf einen Apfel, der Ihnen vom Baum auf den Kopf fällt - Sie sind entweder von vornherein vorsichtig oder ergreifen jedenfalls Maßnahmen, die sicherstellen, dass sich so was nicht wiederholt. Und so muss man auch mit den Menschen umgehen - Prävention über allem anderen - oder eben Besserung des Täters. Nur mit dem Quatsch über "Schuld" und "Strafe" sollten wir aufhören. Es mehren sich ja Hinweise, dass gerade schwere Kriminalität oft klare biologische Katalysatoren hat - Gendefekte etwa oder Serotoninmangel. Da sollten wir denn auch ansetzen. Und - ja, unser Selbstverständnis als Mensch müsste überdacht werden - nur ist es eben beim Loben, bei der Kindererziehung und künstlerischen Leistungen noch vertretbar, Ihr "Gesellschaftsspiel" mit der Annahme persönlicher Verantwortung zu spielen; der Spaß hört aber spätestens dann auf, wenn Sie einen Menschen für Jahre seines Lebens hinter Gitter sperren und so tun, als sei das Problem gelöst!
Die jahrtausendalte Illusion ist zu Ende, Herr Staatsanwalt.
Dienstag, 13. Oktober 2009
Samstag, 13. Juni 2009
Ein Modellbaukasten für die Welt
Sie ist in gewisser Hinsicht wie das Ideal der großen romantischen Liebe: Man sucht sie ständig, aber man findet sie nicht, sondern allenfalls grobe Annäherungen. Oft findet man sich mit dem ab, was man hat, und trotzdem schwebt sie wie eine halbdurchsichtige Fata Morgana seit Generationen vor uns, und wir suchen sie fortwährend, denn sie und die Suche nach ihr bereichert unser Leben und verleiht ihm einen Hauch einer Bedeutung. Viele Menschen sind ihretwegen verrückt geworden, begingen Selbstmord oder wurden umgebracht. Jedoch ist sie keine femme fatale, ja nicht einmal eine Person; sie ist - die Wahrheit.
Der Drang, die Welt zu verstehen und herauszufinden, wie sie funktioniert, ist den Menschen immanent - schon im Kindesalter krabbeln wir neugierig herum und saugen alles in uns auf, was uns unsere Umgebung begreiflich macht. Das tiefere Verständnis der Welt ist der Evolutionsvorteil, der es uns, die wir weder besonders schnell noch besonders kräftig oder geschickt sind, erlaubt hat zu überleben. Andererseits haben Philosophen schon früh erkannt, dass wir die Wahrheit über die Welt, wie sie "in Wirklichkeit" ist, nie bis zum Ende verstehen werden.
Denn einerseits sind wir im Erfassen der Dinge auf unsere Empfindungen angewiesen. Wir sehen ja nicht wirklich das, was ein Gegenstand "ist", sondern nur ein Konstrukt unseres Gehirns aufgrund der Sinnesreize. Schauen wir zum Beispiel auf einen roten Apfel, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass der Apfel nicht wirklich rot "ist" - wir sehen ihn nur rot, weil unser Gehirn die von der Netzhaut eingehenden Daten über elektromagnetische Strahlung mit einer Wellenlänge von etwa 640 nm – 780 nm als rot interpretiert. Der Witz ist, dass ein roter Apfel eigentlich alles mögliche ist, nur nicht rot - die roten Wellenlängen werden ja vom Apfel gerade zurückgeworfen (und gelangen in unser Auge). Wie dieselbe Wellenlänge von einem Kaninchen oder einem Marsmenschen interpretiert wird, und ob deren Konzept von "rot" mit unserem übereinstimmt, wissen wir nicht - beide dürften aber jeweils ein ziemlich anderes Modell der "Wahrheit" über den roten Apfel bauen.
Auch intellektuell sind unserer Erkenntnis Grenzen gesetzt - wir Menschen sind einfach nicht schlau genug, um "die Wahrheit" über die Welt zu erfahren. Auch wenn es angesichts von durch uns hervorgebrachten Supercomputern oder Mars-Rovern zunächst blöd klingt - die Beschaffenheit der Welt ist mit Sicherheit zu kompliziert für uns. Oder kannst Du mir beweisen, dass wir alle nicht nur Figuren sind in einer riesigen Computersimulation, die nach unseren Naturgesetzen, wie wir sie kennen, funktioniert? Was uns übrig bleibt - und was die Aufgabe der Wissenschaft ist - ist es, uns wie bei der Wahrnehmung des roten Apfels ein Modell zu konstruieren, das zu der Wirklichkeit passt. Sie nicht beschreibt, darstellt, erklärt, sondern passt, ihr nicht widerspricht. Ein Polizeihund wird nie verstehen, warum man ihn trainiert, Drogen in Kofferräumen zu erschnüffeln, aber es wird ihm klar - wenn er es macht, gibt's ein Leckerli und ein paar Streicheleinheiten durch das Herrchen. Er durchdringt die Kompliziertheit der Welt nicht, aber er lernt, damit umzugehen, so dass es ihm gut geht. Und in dieser Position sind wir Menschen letztlich auch. Die Naturgesetze, die wir entdecken, sind nichts anderes als das Gesetz des Hundes, dass es für einen Drogenfund ein Pfund Chappi gibt.
Wahrheit ist also immer subjektiv, eine Gebrauchsanweisung für die Welt, mit der wir durch das Wirrwarr des Seins navigieren. Dabei ist es egal, ob jemand mit einem besseren Kenntnisstand (hoch entwickelte andere Zivilisation etc.) unser Modell für überholt hält - solange es funktioniert, ist es unsere "Wahrheit". Ein gutes Beispiel dafür ist das Placebo. Wenn das Modell in unserem Kopf uns eine Besserung verschafft - dann wird es eben so sein; das ist dann unsere persönliche Wahrheit über "die Wirklichkeit" - auch wenn wir "objektiv" nur ein Stück weißen Zucker in Tablettenform gegessen haben. In einem berühmten Versuch "dachten" Vögel, dass wenn sie eine bestimmte Bewegung machen, der Automat in ihrem Käfig ihnen Futter spendiert - tatsächlich waren dem Automaten ihre Tänze egal, aber satt waren sie am Ende trotzdem. Ihre Wahrheit war also anders als die der Forscher, die über die komischen Verrenkungen der Vögel lachten, beide Ansichten waren aber gleichberechtigt. Und deshalb kann die Relativitätstheorie "objektiv" vielleicht auf eine ganz andere Weise die Welt beschreiben, als wir denken - solange sie funktioniert, ist sie unser brauchbares Placebo, unsere "Wahrheit", die wir nun mal nicht besser kennen können.
Aber trotzdem fortwährend weiter suchen werden.
Der Drang, die Welt zu verstehen und herauszufinden, wie sie funktioniert, ist den Menschen immanent - schon im Kindesalter krabbeln wir neugierig herum und saugen alles in uns auf, was uns unsere Umgebung begreiflich macht. Das tiefere Verständnis der Welt ist der Evolutionsvorteil, der es uns, die wir weder besonders schnell noch besonders kräftig oder geschickt sind, erlaubt hat zu überleben. Andererseits haben Philosophen schon früh erkannt, dass wir die Wahrheit über die Welt, wie sie "in Wirklichkeit" ist, nie bis zum Ende verstehen werden.
Denn einerseits sind wir im Erfassen der Dinge auf unsere Empfindungen angewiesen. Wir sehen ja nicht wirklich das, was ein Gegenstand "ist", sondern nur ein Konstrukt unseres Gehirns aufgrund der Sinnesreize. Schauen wir zum Beispiel auf einen roten Apfel, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass der Apfel nicht wirklich rot "ist" - wir sehen ihn nur rot, weil unser Gehirn die von der Netzhaut eingehenden Daten über elektromagnetische Strahlung mit einer Wellenlänge von etwa 640 nm – 780 nm als rot interpretiert. Der Witz ist, dass ein roter Apfel eigentlich alles mögliche ist, nur nicht rot - die roten Wellenlängen werden ja vom Apfel gerade zurückgeworfen (und gelangen in unser Auge). Wie dieselbe Wellenlänge von einem Kaninchen oder einem Marsmenschen interpretiert wird, und ob deren Konzept von "rot" mit unserem übereinstimmt, wissen wir nicht - beide dürften aber jeweils ein ziemlich anderes Modell der "Wahrheit" über den roten Apfel bauen.
Auch intellektuell sind unserer Erkenntnis Grenzen gesetzt - wir Menschen sind einfach nicht schlau genug, um "die Wahrheit" über die Welt zu erfahren. Auch wenn es angesichts von durch uns hervorgebrachten Supercomputern oder Mars-Rovern zunächst blöd klingt - die Beschaffenheit der Welt ist mit Sicherheit zu kompliziert für uns. Oder kannst Du mir beweisen, dass wir alle nicht nur Figuren sind in einer riesigen Computersimulation, die nach unseren Naturgesetzen, wie wir sie kennen, funktioniert? Was uns übrig bleibt - und was die Aufgabe der Wissenschaft ist - ist es, uns wie bei der Wahrnehmung des roten Apfels ein Modell zu konstruieren, das zu der Wirklichkeit passt. Sie nicht beschreibt, darstellt, erklärt, sondern passt, ihr nicht widerspricht. Ein Polizeihund wird nie verstehen, warum man ihn trainiert, Drogen in Kofferräumen zu erschnüffeln, aber es wird ihm klar - wenn er es macht, gibt's ein Leckerli und ein paar Streicheleinheiten durch das Herrchen. Er durchdringt die Kompliziertheit der Welt nicht, aber er lernt, damit umzugehen, so dass es ihm gut geht. Und in dieser Position sind wir Menschen letztlich auch. Die Naturgesetze, die wir entdecken, sind nichts anderes als das Gesetz des Hundes, dass es für einen Drogenfund ein Pfund Chappi gibt.
Wahrheit ist also immer subjektiv, eine Gebrauchsanweisung für die Welt, mit der wir durch das Wirrwarr des Seins navigieren. Dabei ist es egal, ob jemand mit einem besseren Kenntnisstand (hoch entwickelte andere Zivilisation etc.) unser Modell für überholt hält - solange es funktioniert, ist es unsere "Wahrheit". Ein gutes Beispiel dafür ist das Placebo. Wenn das Modell in unserem Kopf uns eine Besserung verschafft - dann wird es eben so sein; das ist dann unsere persönliche Wahrheit über "die Wirklichkeit" - auch wenn wir "objektiv" nur ein Stück weißen Zucker in Tablettenform gegessen haben. In einem berühmten Versuch "dachten" Vögel, dass wenn sie eine bestimmte Bewegung machen, der Automat in ihrem Käfig ihnen Futter spendiert - tatsächlich waren dem Automaten ihre Tänze egal, aber satt waren sie am Ende trotzdem. Ihre Wahrheit war also anders als die der Forscher, die über die komischen Verrenkungen der Vögel lachten, beide Ansichten waren aber gleichberechtigt. Und deshalb kann die Relativitätstheorie "objektiv" vielleicht auf eine ganz andere Weise die Welt beschreiben, als wir denken - solange sie funktioniert, ist sie unser brauchbares Placebo, unsere "Wahrheit", die wir nun mal nicht besser kennen können.
Aber trotzdem fortwährend weiter suchen werden.
Sonntag, 5. April 2009
Der Sinn des Lebens
Ach ja, der Sinn des Lebens... Es gibt viele Paraphrasen dieser tiefsinnig erscheinenden Frage - Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? - Oder, um es mit Douglas Adams zu sagen: "Die Frage nach dem Leben, dem Universum und den ganzen Rest". Ich als Anhänger von prosaischen Antworten auf poetische Fragen denke, dass die Frage in dieser Form erstens missverständlich formuliert und zweitens aus einem Anflug von Größenwahn heraus entstanden ist.
Missverständlich deshalb, weil "Sinn" meistens impliziert, dass das Etwas, dessen Sinn wir suchen, von jemandem aus einer Intention heraus für irgendwas geschaffen wurde, also einen Zweck hat. "Was ist der Sinn (und Zweck) eines Computers?", ist damit eine berechtigte Frage. Den "Sinn des Wetters" sucht man dagegen vergebens. Das Wetter ist einfach da. Es ist eine Naturerscheinung, genauso wie wir. Niemand hat uns gemacht oder erschaffen, wir sind, auch wenn es ernüchternd klingt, das Produkt eines Selektionsprozesses von zufälligen Mutationen eines kohlenstoffbasierten komplexen Moleküls. All die Wunder, die der Mensch bisher vollbracht hat, die Symphonien von Beethoven, die Relativitätstheorie, die Landung auf dem Mond, sind, um es mit Carl Sagan zu sagen, "Dinge, die Wasserstoffatome anstellen, wenn man ihnen 15 Milliarden Jahre Zeit gibt."
Aber woher kommt dann die Frage nach dem Sinn des Lebens überhaupt? - Nun, über Jahrtausende hinweg war es eine nicht zu hinterfragende Selbstverständlichkeit, dass wir doch irgendwie geschaffen wurden, von einem oder mehreren Göttern. Geschaffen - aha, dann doch wohl zu einem Zweck! Das Leben war von einem geheimnisvollen Sinn erfüllt, denn so ein Gott macht sich ja nicht umsonst die Mühe. Und dann plötzlich - ich übergebe das Wort hier an Steven Weinberg, der es vorzüglich formuliert hat:
"Die Menschen hielten sich selbst für Figuren in einem kosmischen Drama: Wir wurden geschaffen, haben gesündigt, werden erlöst – eine ganz große Geschichte. Nun merken wir, dass wir eher wie Schauspieler sind, die ohne Regieanweisung auf einer Bühne herumstehen, und dass uns nichts anderes übrig bleibt, als hier ein bisschen Drama, dort ein wenig Komödie zu improvisieren."
Sigmund Freud hatte schon einmal eine ähnliche Eingebung gehabt und entwickelte die Theorie von den "Kränkungen der Menschheit". Danach war die erste (kopernikanische) Kränkung die, dass der Mensch plötzlich einsehen musste, die Erde sei nicht der Mittelpunkt des Universums, sondern ein unbedeutender Steinbrocken irgendwo am Rande der Milchstraße. Die zweite Kränkung kam von Darwin, der uns anschaulich machte, wie der Mensch auf natürliche Weise ohne göttlichen Hauch von einem gemeinen affenähnlichen Vorfahren entstehen konnte. Ich denke, daher kommt auch die ewige Frage nach dem Sinn des Lebens: Früher war der Sinn aufgrund des religiösen Einflusses selbstverständlich vorhanden und ganz einfach bei dem Pfarrer/Priester/Schamanen deines Vertrauens zu finden. Ist der Mensch aber als bloßes Upgrade des Affen entzaubert, so sucht man (vielleicht unbewusst) - nach einem Ersatz für den verlorenen Thron - und erfindet einen Sinn des Lebens, der gar nicht da ist, weil es niemanden gibt, der uns diesen "objektiven" Sinn geben kann.
Was uns nicht daran hindert, das Leben bedeutungsvoll zu leben, zu versuchen die Welt zu verstehen und Gutes zu tun. Diesen Sinn - oder besser: Inhalt - müssen wir dem Leben aber selbst geben, er liegt also einzig und allein in unserer Hand.
Missverständlich deshalb, weil "Sinn" meistens impliziert, dass das Etwas, dessen Sinn wir suchen, von jemandem aus einer Intention heraus für irgendwas geschaffen wurde, also einen Zweck hat. "Was ist der Sinn (und Zweck) eines Computers?", ist damit eine berechtigte Frage. Den "Sinn des Wetters" sucht man dagegen vergebens. Das Wetter ist einfach da. Es ist eine Naturerscheinung, genauso wie wir. Niemand hat uns gemacht oder erschaffen, wir sind, auch wenn es ernüchternd klingt, das Produkt eines Selektionsprozesses von zufälligen Mutationen eines kohlenstoffbasierten komplexen Moleküls. All die Wunder, die der Mensch bisher vollbracht hat, die Symphonien von Beethoven, die Relativitätstheorie, die Landung auf dem Mond, sind, um es mit Carl Sagan zu sagen, "Dinge, die Wasserstoffatome anstellen, wenn man ihnen 15 Milliarden Jahre Zeit gibt."
Aber woher kommt dann die Frage nach dem Sinn des Lebens überhaupt? - Nun, über Jahrtausende hinweg war es eine nicht zu hinterfragende Selbstverständlichkeit, dass wir doch irgendwie geschaffen wurden, von einem oder mehreren Göttern. Geschaffen - aha, dann doch wohl zu einem Zweck! Das Leben war von einem geheimnisvollen Sinn erfüllt, denn so ein Gott macht sich ja nicht umsonst die Mühe. Und dann plötzlich - ich übergebe das Wort hier an Steven Weinberg, der es vorzüglich formuliert hat:
"Die Menschen hielten sich selbst für Figuren in einem kosmischen Drama: Wir wurden geschaffen, haben gesündigt, werden erlöst – eine ganz große Geschichte. Nun merken wir, dass wir eher wie Schauspieler sind, die ohne Regieanweisung auf einer Bühne herumstehen, und dass uns nichts anderes übrig bleibt, als hier ein bisschen Drama, dort ein wenig Komödie zu improvisieren."
Sigmund Freud hatte schon einmal eine ähnliche Eingebung gehabt und entwickelte die Theorie von den "Kränkungen der Menschheit". Danach war die erste (kopernikanische) Kränkung die, dass der Mensch plötzlich einsehen musste, die Erde sei nicht der Mittelpunkt des Universums, sondern ein unbedeutender Steinbrocken irgendwo am Rande der Milchstraße. Die zweite Kränkung kam von Darwin, der uns anschaulich machte, wie der Mensch auf natürliche Weise ohne göttlichen Hauch von einem gemeinen affenähnlichen Vorfahren entstehen konnte. Ich denke, daher kommt auch die ewige Frage nach dem Sinn des Lebens: Früher war der Sinn aufgrund des religiösen Einflusses selbstverständlich vorhanden und ganz einfach bei dem Pfarrer/Priester/Schamanen deines Vertrauens zu finden. Ist der Mensch aber als bloßes Upgrade des Affen entzaubert, so sucht man (vielleicht unbewusst) - nach einem Ersatz für den verlorenen Thron - und erfindet einen Sinn des Lebens, der gar nicht da ist, weil es niemanden gibt, der uns diesen "objektiven" Sinn geben kann.
Was uns nicht daran hindert, das Leben bedeutungsvoll zu leben, zu versuchen die Welt zu verstehen und Gutes zu tun. Diesen Sinn - oder besser: Inhalt - müssen wir dem Leben aber selbst geben, er liegt also einzig und allein in unserer Hand.
Samstag, 28. März 2009
Du bist ich
Was passiert, wenn man einem Kleinkind die Zunge zeigt? - Die Chance ist groß, dass das Kind dann die Gefälligkeit erwidert. Wenn man einem Affen was vorsingt? - Der Affe könnte mit einstimmen. Wenn man beobachtet, wie ein anderer versehentlich eine heiße Herdplatte anfasst? - Man zieht mit einem schmerzverzerrten Gesichtsausdruck die Hand an den Körper. Und wenn man kranke Menschen sieht, versetzt sich die eigene Immunabwehr in Alarmbereitschaft.
Die Ursache von diesen Gefühlen und Reaktionen ist ein und dieselbe: Es sind die erst vor kurzem entdeckten sogenannten Spiegelneuronen in unserem Gehirn. Manche bezeichnen sie als die wichtigste Entdeckung in der Neurophysiologie der letzten Zeit. Vereinfacht gesagt sind es Nervenzellen in unserem Gehirn, die alle Handlungen, Gefühle und Stimmungen der Menschen um uns herum simulieren. Sehen wir Diego Maradona beim Dribbeln Richtung Tor zu, wird in unseren Gehirnen eine virtuelle Kopie des Stürmers erstellt. Und wir laufen nicht nur "ein bisschen mit ihm mit", nein, wir sind in diesem Augenblick tatsächlich Diego Maradona. Sehen wir, wie jemand anderes mit einer Nadel gepiekt wird, dann gibt es in unserem Gehirn eine entsprechende Antwort darauf, so dass erst die Abwesenheit von Schmerz uns beruhigen muss, damit wir kein Abwehr- oder Fluchtverhalten zeigen. Durch bloßes Zuschauen versetzen wir uns also unweigerlich in die andere Person hinein.
Wozu das Ganze? - Ganz einfach: damit wir unsere Mitmenschen besser verstehen. Die Evolution hat uns tatsächlich mit Gehirnzellen versehen, die für Empathie zuständig sind (der Neurowissenschaftler V.S. Ramachandran nennt sie deshalb gerne scherzhaft "Dalai-Lama-Neuronen"). Der Mensch als ein von Grund auf soziales Wesen braucht sie, um die Interaktion mit anderen zu erleichtern. Er muss das Innenleben anderer, deren Absichten, Emotionen etc. nicht mehr durch logische Schlüsse aus ihrem äußeren Verhalten erraten, er empfindet es unmittelbar, als wäre es sein eigenes! Bezeichnenderweise sind gerade bei Autisten, also Menschen, die Probleme haben, mit anderen zu interagieren, eine nur schwache Spiegelneuronen-Aktivität festgestellt worden. Auch Ärzte "schützen sich" durch eine verminderte Empfindlichkeit der ständigen Wahrnehmung von Schmerzen anderer.
Die so direkt erfahrene Einfühlung in eine andere Person ist aber auch eben an die Unmittelbarkeit der Wahrnehmungen geknüpft: Sehen wir einen hilflosen Menschen am Straßenrand, haben wir ein stärkeres Bedürfnis, ihm zu helfen, als wenn es um Millionen hungernde Afrikaner geht, die wir nie gesehen haben. Aus evolutionstheoretischer Sicht klar: Wir sollten uns früher nur um die unmittelbaren Stammesmitglieder kümmern, die mit uns oft verwandt waren, und nicht um Leute, die uns nichts angehen. Deswegen sind in dem berühmten Trolley-Dilemma die meisten Befragten einverstanden, einen Menschen auf indirektem Weg, durch Umlegen der Weiche, nicht aber direkt, durch das Herunterstoßen von der Brücke opfern. Die Dalai-Lama-Neuronen, die sein Leiden uns zu eigen machen, verhindern, dass man selbst Hand anlegt.
Asiaten haben sich seit jeher von der Idee des Individuums distanziert. Für sie zählt die Gemeinschaft, der Verband, dem man angehört, die Einheit unter Verschiedenen. Spiegelneuronen geben ihnen in gewisser Weise Recht. Wenn ich mit anderen interagiere, werde ich in deren Köpfen gespiegelt und werde so zu einem Teil von ihnen. Die Grenzen zwischen dem Einzelnen und "den anderen" werden ein Stück weit aufgelöst. Man ist, solange man in direkten Kontakt zu anderen tritt, nie mehr "allein". Ich bin auch ein bisschen Du, und zwar nicht durch deduktive Schlüsse, sondern ganz direkt - dank des Spiegels in meinem Gehirn.
Die Ursache von diesen Gefühlen und Reaktionen ist ein und dieselbe: Es sind die erst vor kurzem entdeckten sogenannten Spiegelneuronen in unserem Gehirn. Manche bezeichnen sie als die wichtigste Entdeckung in der Neurophysiologie der letzten Zeit. Vereinfacht gesagt sind es Nervenzellen in unserem Gehirn, die alle Handlungen, Gefühle und Stimmungen der Menschen um uns herum simulieren. Sehen wir Diego Maradona beim Dribbeln Richtung Tor zu, wird in unseren Gehirnen eine virtuelle Kopie des Stürmers erstellt. Und wir laufen nicht nur "ein bisschen mit ihm mit", nein, wir sind in diesem Augenblick tatsächlich Diego Maradona. Sehen wir, wie jemand anderes mit einer Nadel gepiekt wird, dann gibt es in unserem Gehirn eine entsprechende Antwort darauf, so dass erst die Abwesenheit von Schmerz uns beruhigen muss, damit wir kein Abwehr- oder Fluchtverhalten zeigen. Durch bloßes Zuschauen versetzen wir uns also unweigerlich in die andere Person hinein.
Wozu das Ganze? - Ganz einfach: damit wir unsere Mitmenschen besser verstehen. Die Evolution hat uns tatsächlich mit Gehirnzellen versehen, die für Empathie zuständig sind (der Neurowissenschaftler V.S. Ramachandran nennt sie deshalb gerne scherzhaft "Dalai-Lama-Neuronen"). Der Mensch als ein von Grund auf soziales Wesen braucht sie, um die Interaktion mit anderen zu erleichtern. Er muss das Innenleben anderer, deren Absichten, Emotionen etc. nicht mehr durch logische Schlüsse aus ihrem äußeren Verhalten erraten, er empfindet es unmittelbar, als wäre es sein eigenes! Bezeichnenderweise sind gerade bei Autisten, also Menschen, die Probleme haben, mit anderen zu interagieren, eine nur schwache Spiegelneuronen-Aktivität festgestellt worden. Auch Ärzte "schützen sich" durch eine verminderte Empfindlichkeit der ständigen Wahrnehmung von Schmerzen anderer.
Die so direkt erfahrene Einfühlung in eine andere Person ist aber auch eben an die Unmittelbarkeit der Wahrnehmungen geknüpft: Sehen wir einen hilflosen Menschen am Straßenrand, haben wir ein stärkeres Bedürfnis, ihm zu helfen, als wenn es um Millionen hungernde Afrikaner geht, die wir nie gesehen haben. Aus evolutionstheoretischer Sicht klar: Wir sollten uns früher nur um die unmittelbaren Stammesmitglieder kümmern, die mit uns oft verwandt waren, und nicht um Leute, die uns nichts angehen. Deswegen sind in dem berühmten Trolley-Dilemma die meisten Befragten einverstanden, einen Menschen auf indirektem Weg, durch Umlegen der Weiche, nicht aber direkt, durch das Herunterstoßen von der Brücke opfern. Die Dalai-Lama-Neuronen, die sein Leiden uns zu eigen machen, verhindern, dass man selbst Hand anlegt.
Asiaten haben sich seit jeher von der Idee des Individuums distanziert. Für sie zählt die Gemeinschaft, der Verband, dem man angehört, die Einheit unter Verschiedenen. Spiegelneuronen geben ihnen in gewisser Weise Recht. Wenn ich mit anderen interagiere, werde ich in deren Köpfen gespiegelt und werde so zu einem Teil von ihnen. Die Grenzen zwischen dem Einzelnen und "den anderen" werden ein Stück weit aufgelöst. Man ist, solange man in direkten Kontakt zu anderen tritt, nie mehr "allein". Ich bin auch ein bisschen Du, und zwar nicht durch deduktive Schlüsse, sondern ganz direkt - dank des Spiegels in meinem Gehirn.
Freitag, 6. Februar 2009
Reisen im Nichts
Ach, wenn es doch so einfach wäre! Sich einfach ins Auto setzen, Zeit eintippen und losdüsen. 88 Meilen pro Stunde - zack! - ist man in ferner Zukunft angelangt - oder in dunkler Vergangenheit. Doch so einfach wie in dem Science-Fiction-Klassiker "Zurück in die Zukunft" ist das Zeitreisen doch nicht. Obwohl es an Interessenten, die zum Beispiel mit den Aktienkursen von heute im Gepäck gestern an die Börse gehen wollten, bestimmt nicht mangeln würde. Oder das verhunzte Date mit der Traumfrau wiederholen und diesmal darauf achten, dass man nicht allzu offensichtlich in der Nase bohrt. Was steht dem Zeitreisen also im Wege? Zeit ist doch, wie der Raum, nur eine weitere Dimension, oder?
Der geniale Physiker Stephen Hawking hat mal gescherzt, wenn Zeitreisen möglich wären, wären wir schon längst von Touristenhorden aus der Zukunft überrannt worden. Aber jetzt mal im Ernst: Man muss erst mal differenzieren zwischen der Reise in die Zukunft und einer solchen in die Vergangenheit. Zunächst zum Einfacheren: Die Zukunft. Hier gibt es tatsächlich ein relativ klares Prinzip, dass uns erlaubt, nach 3 Minuten unsere Enkelkinder zu sehen. Man steige entweder in eine Rakete, die mit einem lichtgeschwindikeitsnahen Tempo durchs Weltall düst, oder man parke die Rakete am Rande eines gravitationstriefenden Schwarzen Lochs (ohne hineinzurutschen, versteht sich). Denn nach der speziellen und allgemeinen Relativitätstheorie vergeht die Zeit um so langsamer je schneller man sich bewegt oder je stärker die Gravitationskraft ist, die auf einen einwirkt. Während für Deine auf der Erde gebliebenen Zeitgenossen ein Jahrhundert vergeht, zeigt Deine eigene Uhr nur fünf Minuten. Oder noch weniger. Der Kosmonaut Sergej Krikaljow reiste während seiner rund 800 Tage im Weltall eine ganze Fünzigstelsekunde in die Zukunft - aber nur, weil wir noch keine höheren Geschwindigkeiten produzieren können.
Viel schwieriger sieht es aus, wenn es um Reisen in die Vergangenheit geht. Da gibt es einen kleinen und zwei große Stolpersteine. Der kleine ist die Logik. Man argumentiert, wenn Vergangenheitsreisen möglich wären, käme es zu einem unauflösbaren Paradoxon:
Man könnte seinen eigenen Großvater töten,
so dass man selbst niemals geboren würde,
so dass niemand da wäre, der den Großvater töten könnte,
so dass man nun doch geboren würde
und in die Vergangenheit reisen würde, um den Großvater zu töten...
Man dreht sich also immer im Kreis, und das Universum mag solche Widersprüche nicht. Auf dieses Problem gibt es aber eine erstaunlich einfache Antwort - das Selbstübereinstimmungsprinzip. Es besagt, dass nur solche Geschehensabläufe möglich sind, die keine Selbstwidersprüche enthalten. Wenn ich also geboren wurde, dann kann ich zwar in die Vergangenheit reisen, um meinen Großvater zu töten, aber ich werde es irgendwie nicht schaffen - entweder ich treffe ihn nicht an oder verwechsle jemand anderen mit ihm (und weiß jetzt, wer den rätselhaften ungeklärten Mord begangen hat, von dem der Großvater einmal erzählt hat). Und wenn ich in die Vergangenheit reise, um herauszufinden, was für einen gewaltigen ungewöhnlichen Lichtblitz meine Nachbarn vor zwei Tagen gesehen haben, dann ist die einzige Erklärung für den Lichtblitz, dass ich ihn durch die Zeitreise selbst verursacht habe. Die Kausalitätsschleife wird auf diese Weise geschlossen, die Welt ist wieder in sich stimmig.
Nun aber zum ersten großen Stolperstein: Wie uns ein unbedeutender Patentbeamter aus Bern mitgeteilt hat, hat jedes Objekt seine eigene Zeit (sonst wäre die oben erwähnte Reise in die Zukunft, die sich ja auch nur auf ein Objekt bezieht, nicht möglich). Steigt man also in die Zeitmaschine, reist man deshalb nur in die eigene Vergangenheit - sprich, man wird jünger. Dem Rest der Welt ist dies völlig egal, er bleibt, wie er ist. Um "in die Vergangenheit" im Sinne der Science-Fiction-Stories zu reisen, müsste man umgekehrt die ganze Restwelt in die Zeitmaschine stecken (und selbst draußen bleiben), was technisch offensichtlich unmöglich ist (weitere daraus folgende Verwicklungen von Vergangenheitsreisen hier).
Das größte Problem an Reisen in die Vergangenheit ist aber dies: Man kann nicht in etwas reisen, das nicht existiert. Und die Zeit existiert nicht. Natürlich haben wir alle eine Uhr, aber die Zeit gibt es als solche gar nicht. Sie ist ein bloßes Konstrukt unseres Bewusstseins, eine Rechenhilfe, ein Maß für Veränderungen der Welt. Der Physiker Ernst Mach sagte mal: "Die Zeit ist ... eine Abstraktion, zu der wir durch die Veränderung der Dinge gelangen", und damit hat er Recht. Deshalb ist es auch unsinnig zu fragen, was es vor dem Urknall gab - da nichts existierte, gab es auch keine Zeit, kein Maß für Veränderungen oder Bewegungen von irgendwas. "Vor dem Urknall" ist damit ein ebenso unsinniger Satz wie: "Nördlich des Nordpols". Da Zeit nur in der Wahrnehmung existiert, kann man im Übrigen auch messen, wie schnell sie für ein bestimmtes Wesen vergeht. Passieren im Gehirn 100 Rechenprozesse in 1 Sekunde, vergeht für dieses Wesen die Zeit langsamer, als wenn dieselben Prozesse 10 Sekunden brauchen ("huch, nur mal kurz geniest und schon 10 Sekunden vorbei!..."). Deshalb geht die Zeit im Alter, mit abnehmendem Tempo von Denkprozessen nachweislich langsamer. Ist aber die Zeit nur eine Denkhilfe für unseren Verstand und nichts mehr, kann man in ihr auch nicht reisen. Man kann nur den Ablauf der Vorgänge beschleunigen oder verlangsamen (s.o. Zukunftsreisen), aber niemals umkehren.
Theoretishe Physiker spekulieren zwar über Zeitreisen mittels rotierender Universen oder stabiler Wurmlöcher in der gekrümmten Raumzeit; jedoch sind all dies höchst umstrittene Gedankengebilde und in der Realität mit Sicherheit unmöglich. Wir sind damit gefangen im Jetzt. Das sehr schnell zu morgen oder "Zehn-jahre-später" wird. Und dann die Zeit für uns, weil wir langsamer denken, viel zu schnell vergeht. Pflücket also den Tag!
Mittwoch, 14. Januar 2009
Ich sehe was, was ich nicht seh
Heute gibt es einen kleinen Ausflug in eine wundersame Welt, in der man Sachen optisch wahrnimmt, ohne sie zu sehen, und wo - umgekehrt - man auf etwas direkt schauen kann, ohne es zu bemerken. Wo ist diese Welt, fragst Du? - In deinem Kopf.
Zuerst einmal zum Altbekannten: Dass Menschen etwas wahrnehmen, ohne es bewusst zu "sehen", gilt schon länger als gesichert. Personen mit einer Störung der Seh-Areals im Gehirn sind de facto blind, können aber, da das Auge immer noch perfekt funktioniert, trotzdem ganz ordentlich erraten, aus welcher Richtung ein Lichtblitz kommt. Ob und inweiweit ein für Bruchteile einer Sekunde auf einem Monitor eingeblendetes Bild einen Menschen unbewusst beeinflussen kann, ist umstritten; dies hat das Wahlkampfteam von George W. Bush im Jahre 2000 jedenfalls nicht davon abgehalten, in einem Wahlkampfspot die Demokraten (democrats) auf diese Weise optisch nicht mehr wahrnehmbar als "rats" (Ratten) zu bezeichnen (Bildausschnitt s.o.).
Viel interessanter ist die erst in den letzten Jahren in den Blickpunkt der Forschung gerückte Eigenschaft des Menschen, Dinge nicht zu sehen, die direkt vor ihm sind. Große Dinge. Bei gutem Licht. Ohne Hektik. Willkommen im Zauberkabinett der optischen Wahrnehmung!
Es fängt schon damit an, dass niemand, der sich selbst im Spiegel in die Augen guckt, die für jeden anderen offensichtlichen kleinen Bewegungen der eigenen Augen bemerken kann. Ja, sie sind immer in Bewegung und stehen niemals still. Man kann dieses Zittern der Augen nicht bemerken (probier es ruhig aus), weil das Auge in der Bewegung selbst nichts sehen kann, da das Bild wie bei einem Fotoapparat verwischt wird. Also gibt ein Bild erst am Ende der Bewegung. Und dann stehen die Augen ja still. Die Bewegung wird aus dem Seh-Eindruck also wegrationalisiert. Es ist irgendwie spukhaft zu wissen, dass Du im Spiegel etwas nicht siehst, was für jeden anderen, der Deine Augen genau anschaut, offensichtlich ist.
Das ist aber noch längst nicht alles. Das Gehirn ist nämlich immer mit einem Problem konfrontiert: Es muss aus der Flut von Signalen, die es bekommt, das Wichtigste herausfiltern und ständig Speicherplatz für neue Sinneseindrücke schaffen. Und dies wird ihm oft zum Verhängnis - die optische Wahrnehmung wird durch lächerliche Kleinigkeiten völlig durcheinander gebracht. Zeigt man einem Menschen ein Foto und gleich darauf dasselbe Foto mit einer deutlichen Veränderung, erkennt er diese meistens sofort. Nicht aber, wenn zwischen den Bildern für 100 Millisekunden ein blanker grauer Fleck anstelle des Fotos kommt. Hier ein Beispiel. Ich wette, Du hast den Unterschied zwischen den Fotos nicht bemerkt. Obwohl er - wirklich! - ziemlich auffällig ist. Der Grund: Wenn das erste Bild verschwindet und der graue Fleck kommt, denkt sich das Gehirn: "Aha, das Bild ist weg, also lösche ich den entsprechenden Speicher, damit ein bisschen Platz frei wird." Und wenn es wieder in veränderter Form auftaucht, hat das Gehirn die Details des ersten Bildes längst vergessen und hat nichts zum Vergleich.
Und wenn Du, lieber Leser, auf etwas schaust, so hast Du zwar ein Gesichtsfeld von ca. 180 Grad, aber glaub ja nicht, dass Du alles, was dort ist, wirklich siehst. Wie schon gesagt, das Gehirn muss filtern, sonst gibt es eine Datenüberschwemmung. Professor Daniel Simons von der Uni Illinois, der ein feines Gespür fürs Absurde hat, zeigte Probanden ein Video, in dem sich mehrere Menschen einen Ball zuwarfen. Die Probanden wurden gebeten, die Anzahl der Würfe zu zählen. Plötzlich erschien unter den Spielern mitten im Bild ein Gorilla, trommelte sich an die Brust und verschwand. 50% der Probanden haben den Gorilla nicht bemerkt. Zu beschäftigt waren sie mit dem Zählen. In späteren Untersuchungen fand man heraus, dass die Augen derjenigen, die ihn nicht sahen, trotzdem zeitweise - erfolglos - direkt auf den Gorilla gerichtet waren.
Daniel Simons hatte aber noch mehr Sinn für Humor und ging weiter: In einem hier gezeigten Experiment merkten zwei Drittel der Passanten nicht, dass die Person, mit denen sie sprachen, im Laufe der Unterhaltung durch eine andere ersetzt worden war. Die Person hatte sie ursprünglich nach dem Weg gefragt; nach einer kurzen Ablenkung, die nicht länger als eine Sekunde dauerte, stand plötzlich jemand völlig anders vor dem Passanten. Diese andere Person war anders gekleidet, hatte eine andere Stimme und war auch von der Größe her verschieden. Trotzdem erklärten die Passanten dem "neuen" Gesprächspartner weiter den Weg, ohne den leisesten Verdacht zu schöpfen. (Ähnliches ist übrigens vor kurzem auch für die Hörwahrnehmung demonstriert worden.)
Man kann also wirklich direkt auf etwas schauen, ohne es zu sehen - und das nur, weil etwas drei Zentimeter weiter rechts oder links für das Gehirn mit seiner begrenzten Rechenkapazität wichtiger ist. Und wenn Du glaubst, Dir könnte so ein Unsinn nicht passieren, dann empfehle ich wärmstens den folgenden Kartentrick mitzuverfolgen - bis zum Ende!
Zuerst einmal zum Altbekannten: Dass Menschen etwas wahrnehmen, ohne es bewusst zu "sehen", gilt schon länger als gesichert. Personen mit einer Störung der Seh-Areals im Gehirn sind de facto blind, können aber, da das Auge immer noch perfekt funktioniert, trotzdem ganz ordentlich erraten, aus welcher Richtung ein Lichtblitz kommt. Ob und inweiweit ein für Bruchteile einer Sekunde auf einem Monitor eingeblendetes Bild einen Menschen unbewusst beeinflussen kann, ist umstritten; dies hat das Wahlkampfteam von George W. Bush im Jahre 2000 jedenfalls nicht davon abgehalten, in einem Wahlkampfspot die Demokraten (democrats) auf diese Weise optisch nicht mehr wahrnehmbar als "rats" (Ratten) zu bezeichnen (Bildausschnitt s.o.).
Viel interessanter ist die erst in den letzten Jahren in den Blickpunkt der Forschung gerückte Eigenschaft des Menschen, Dinge nicht zu sehen, die direkt vor ihm sind. Große Dinge. Bei gutem Licht. Ohne Hektik. Willkommen im Zauberkabinett der optischen Wahrnehmung!
Es fängt schon damit an, dass niemand, der sich selbst im Spiegel in die Augen guckt, die für jeden anderen offensichtlichen kleinen Bewegungen der eigenen Augen bemerken kann. Ja, sie sind immer in Bewegung und stehen niemals still. Man kann dieses Zittern der Augen nicht bemerken (probier es ruhig aus), weil das Auge in der Bewegung selbst nichts sehen kann, da das Bild wie bei einem Fotoapparat verwischt wird. Also gibt ein Bild erst am Ende der Bewegung. Und dann stehen die Augen ja still. Die Bewegung wird aus dem Seh-Eindruck also wegrationalisiert. Es ist irgendwie spukhaft zu wissen, dass Du im Spiegel etwas nicht siehst, was für jeden anderen, der Deine Augen genau anschaut, offensichtlich ist.
Das ist aber noch längst nicht alles. Das Gehirn ist nämlich immer mit einem Problem konfrontiert: Es muss aus der Flut von Signalen, die es bekommt, das Wichtigste herausfiltern und ständig Speicherplatz für neue Sinneseindrücke schaffen. Und dies wird ihm oft zum Verhängnis - die optische Wahrnehmung wird durch lächerliche Kleinigkeiten völlig durcheinander gebracht. Zeigt man einem Menschen ein Foto und gleich darauf dasselbe Foto mit einer deutlichen Veränderung, erkennt er diese meistens sofort. Nicht aber, wenn zwischen den Bildern für 100 Millisekunden ein blanker grauer Fleck anstelle des Fotos kommt. Hier ein Beispiel. Ich wette, Du hast den Unterschied zwischen den Fotos nicht bemerkt. Obwohl er - wirklich! - ziemlich auffällig ist. Der Grund: Wenn das erste Bild verschwindet und der graue Fleck kommt, denkt sich das Gehirn: "Aha, das Bild ist weg, also lösche ich den entsprechenden Speicher, damit ein bisschen Platz frei wird." Und wenn es wieder in veränderter Form auftaucht, hat das Gehirn die Details des ersten Bildes längst vergessen und hat nichts zum Vergleich.
Und wenn Du, lieber Leser, auf etwas schaust, so hast Du zwar ein Gesichtsfeld von ca. 180 Grad, aber glaub ja nicht, dass Du alles, was dort ist, wirklich siehst. Wie schon gesagt, das Gehirn muss filtern, sonst gibt es eine Datenüberschwemmung. Professor Daniel Simons von der Uni Illinois, der ein feines Gespür fürs Absurde hat, zeigte Probanden ein Video, in dem sich mehrere Menschen einen Ball zuwarfen. Die Probanden wurden gebeten, die Anzahl der Würfe zu zählen. Plötzlich erschien unter den Spielern mitten im Bild ein Gorilla, trommelte sich an die Brust und verschwand. 50% der Probanden haben den Gorilla nicht bemerkt. Zu beschäftigt waren sie mit dem Zählen. In späteren Untersuchungen fand man heraus, dass die Augen derjenigen, die ihn nicht sahen, trotzdem zeitweise - erfolglos - direkt auf den Gorilla gerichtet waren.
Daniel Simons hatte aber noch mehr Sinn für Humor und ging weiter: In einem hier gezeigten Experiment merkten zwei Drittel der Passanten nicht, dass die Person, mit denen sie sprachen, im Laufe der Unterhaltung durch eine andere ersetzt worden war. Die Person hatte sie ursprünglich nach dem Weg gefragt; nach einer kurzen Ablenkung, die nicht länger als eine Sekunde dauerte, stand plötzlich jemand völlig anders vor dem Passanten. Diese andere Person war anders gekleidet, hatte eine andere Stimme und war auch von der Größe her verschieden. Trotzdem erklärten die Passanten dem "neuen" Gesprächspartner weiter den Weg, ohne den leisesten Verdacht zu schöpfen. (Ähnliches ist übrigens vor kurzem auch für die Hörwahrnehmung demonstriert worden.)
Man kann also wirklich direkt auf etwas schauen, ohne es zu sehen - und das nur, weil etwas drei Zentimeter weiter rechts oder links für das Gehirn mit seiner begrenzten Rechenkapazität wichtiger ist. Und wenn Du glaubst, Dir könnte so ein Unsinn nicht passieren, dann empfehle ich wärmstens den folgenden Kartentrick mitzuverfolgen - bis zum Ende!
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