Samstag, 25. Juli 2015

Der störende Homunculus im Kopf

Seit je her diskutieren Philosophen zwei Probleme, die zentral für das Selbstverständnis des Menschen und für die Philosophie des Geistes sind: zum einen die Frage nach dem "freien Willen" des Menschen (s. schon hier) und zum anderen die Schwierigkeit zu erklären, wie aus der rein elektrochemischen Maschine Gehirn das Bewusstsein, reich an Empfindungen, Gedanken und sonstigen immateriellen Dingen, entsteht. In beiden Fällen behindert das klare Denken jedoch eine seltsame Annahme, die bei den Diskussionen implizit mitschwingt, die jedoch so gut wie niemand laut ausspricht. Diese Annahme ist das, was ich den störenden Homunculus im Kopf nenne. Von dieser Kreatur sollten wir uns daher verabschieden.

1. Bei der Frage nach dem "freien Willen" muss man irgendwie mit der Tatsache fertig werden, dass die Neuronen im Gehirn streng nach Naturgesetzen funktionieren. Naturgesetze sind in ihrem Kern aber nicht "frei", sondern deterministisch - ein Apfel kann sich eben nicht "aussuchen", ob er nach unten oder oben fallen soll (Ausnahme sind hier die quantenmechanischen Zufallsmechanismen auf der Mikro-Ebene, die uns aber auch nicht "frei" machen können - niemand kann einen Menschen als "frei" bezeichnen, der zufällig Entscheidungen trifft). Seit je her wehren sich daher die Menschen bei der Diskussion um die Freiheit des Willens gegen die deterministische Beschreibung des Gehirns.

Allein: Macht uns der Determinismus wirklich "unfrei"? Instinktiv denkt man - ja, denn man fühlt sich dann zu einer bloßen stupiden Rechenmaschine degradiert. Dies ist jedoch eine falsche Annahme, und hier kommt der störende Homunculus im Kopf ins Spiel. Ein determiniert denkender Mensch wäre nur dann unfrei, wenn es diesen Homunculus gäbe, der dem Treiben der Maschine im Schädel hilflos ausgeliefert wäre. Und dann wären immer noch nicht wir selbst unfrei, sondern der Homunculus, dessen "freier Wille" durch die um ihn herum feuernden Nervenzellen "überstimmt" würde. Es gibt diesen Homunculus aber nicht. Mag das Gehirn eine stupide Rechenmaschine sein, gibt es niemanden, den diese Maschine zu irgendetwas zwingen würde. Die deterministische Maschine haben wir nicht, sie sind wir. Und deshalb kann man sich mit gutem Grund trotz Determination als frei bezeichnen. Freier, als wir denken und als wir sind, kann man nicht werden.

2. Genau derselbe Homunculus spukt auch bei der zweiten großen Fragestellung der Philosophie des Geistes herum: Der Frage, wie physikalisch und chemisch zu beschreibende neuronale Aktivität das "immaterielle" Bewusstsein produziert. Wie und ob das Eine auf das Andere irgendwelche Auswirkungen hat. Oder um mit dem Philosophen Peter Bieri zu sprechen:

"Stellen wir uns nun ein menschliches Gehirn vor, das maßstabgetreu so weit vergrößert wäre, dass wir in ihm umhergehen könnten wie in einer riesigen Fabrik. Wir machen eine Führung mit, denn wir möchten wissen, woran es liegt, dass der entsprechend vergrößerte Mensch, dem das Gehirn gehört, ein erlebendes Subjekt mit einer Innenperspektive ist. Der Führer erklärt uns den Aufbau der Nervenzellen, die schwindelerregende Vielfalt der Verbindungen, die Chemie der Botenstoffe und das Muster der Gehirnströme.
„Alles sehr eindrucksvoll“, sagen wir zu ihm, „aber wo in dem Ganzen ist das Bewusstsein, das erlebende Subjekt?"

Leibniz postulierte dazu etwa, dass Gott das materielle Uhrwerk des Gehirns und das immaterielle Erleben der Seele gleichzeitig und parallel habe laufen lassen, und so den bloßen Anschein erweckt habe, als würde das Eine das Andere irgendwie beeinflussen. Der zeitgenössische Philosoph David Chalmers betrachtet die Frage gar als das "hard problem of consciousness" und bezweifelt, dass es jemals gelöst werden kann.

Doch Moment mal: Diese angeblich so schwierige Frage ergibt nur dann Sinn, wenn es im Gehirn noch irgendjemanden anderes gibt, der die neuronale Aktivität nunmehr als das subjektive Erleben wahrnimmt! Nur wenn es den kleinen Homunculus im Kopf gäbe, müssten wir uns all dies fragen: "Wie wird aus dem Feuern von Neuronen der Film erzeugt, den er sieht? Wie entsteht aus dem chemischen Austausch von Botenstoffen der Geschmack von Tomaten, den er spürt?"

Allein: Es gibt im Gehirn niemanden, der den Film sieht oder die Tomate schmeckt. Diese Fragestellung ist mehr oder weniger vollkommen sinnfrei, weil der, in dessen Kopf die elektrochemische Aktivität stattfindet, derselbe ist, der den Geschmack der Tomate fühlt. Die Duftmoleküle werden in der Riechzellen der Nase in elektrische Impulse umgewandelt, doch es gibt keine Stelle im Gehirn, wo die Impulse zurück in das Geruchserlebnis "übersetzt" werden. Es gibt folglich auch niemanden, dem man das so entstandene subjektive Erlebnis "präsentieren" muss, oder um mit dem Philosophen Daniel Dennett zu sprechen: Es gibt im Kopf kein Descartes'sches Theater, in dem der Homunculus sitzt und Popcorn kauend den aus der Neuronenaktivität magischerweise rückübersetzten Film schaut. Das subjektive Erleben des Tomatengeschmacks ist eben, wie es sich anfühlt, Neuronen im Kopf zu haben, die Information verarbeiten. Das Rückübersetzen  von Elektronenströmen in das subjektive Erleben findet nirgendwo statt, weil es im Kopf keinen Homunculus gibt, der das subjektive Erleben erlebt - und deshalb muss man es auch weder großartig erklären noch zu einem "hard Problem" erheben.

Es wird Zeit, den störenden Homunculus im Kopf auf dem Müllhaufen der schlechten Ideen zu entsorgen.

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