Mittwoch, 21. November 2007

Gotteshypothese


Welche Gründe gibt es für die Annahme, dass ein Gott existiert? Pardon - welche rationalen, vernünftigen Gründe gibt es dafür? Denn viele haben einfach ein Gefühl, dass "es da noch mehr gibt als nur unsere Welt", sie spüren die Existenz von etwas Übernatürlichen, und dagegen kann man schwer etwas einwenden. Anders ist es aber, wenn man versucht, aus diesem Gefühl ein rational verständliches und daher für Dritte nachvollziehbares Argument zu basteln oder gar - wie die Geschichte nur zu oft zeigte - auf dieser Annahme ein politisches Unterdrückungssystem zu errichten.

Zunächst wäre da der Gott der Offenbarungsschriften. Das Gute an dieser Variante ist, dass der Gott zumindest irgendwie beschrieben, mit Eigenschaften bedacht werden kann, die sich aus diesen Schriften ergeben. So soll er ein allmächtiges, allwissendes und gütiges Wesen sein, das das Universum und uns Menschen (die er liebt) erschaffen hat, dann je nach Religion zB einen Sohn gezeugt haben, der am Kreuz starb und wieder auferstand, oder etwa der dezidierten Meinung sein, dass Homosexualität eine Sünde sei.

Gibt es rationale Gründe dafür, dass das alles wahr ist? Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung schon prima facie nicht: Denn alle anderen Götter, die die Menschheit je ersonnen hatte, waren auch so gestrickt - und sind auf dem Müllhaufen der Ideengeschichte gelandet. Selbst die Religiösen sind alle überzeugte Atheisten im Hinblick auf Thor, Zeus, Ra, die im Anus einer Kuh lebende hinduistische Gottheit "Devagana" und all die anderen bunten Gestalten. Warum dann nicht konsequent sein und den letzten Gott zur Liste addieren, der das Massensterben der Götter (im Wesentlichen aus Gründen der politischen Macht) bisher überstanden hat? Wo ist der entscheidende Unterschied?

Die meisten aufgeklärten und vernünftig denkenden Menschen von heute glauben an den Gott der abrahamitischen Offenbarungsreligionen eigentlich nur deshalb, weil er so heilig daherkommt. Subtrahiert man aber erst einmal die beeindruckenden schönen Kirchen, die Legenden von erfüllten Gebeten, die generationsweise übermittelte Ehrfurcht erregende Unantastbarkeit Göttlichen Wortes und betrachtet man das, was übrig bleibt, nüchtern, sieht man in den Quelltexten kaum mehr als das:

- bronzezeitlichen Unsinn (sprechende Schlangen, Büsche oder Esel),
- Neuaufbereitung bekannter Mythen aus dem Mittelmeerraum (Sintflut; Geburt und Aussetzung Mose),
- durch nachgewiesene Naturphänomene erklärbare Ereignisse ("Plagen" von Ägypten als banale Umweltkatastrophe infolge vulkanischer Aktivitäten).

Dabei springen einen - im Alten Testament - der in Gottesgestalt gezeichnete typische auf Loyalität angewiesene und daher eifersüchtige, misstrauische und zuweilen grausame Stammesführer eines antiken Wüstenvolkes und - im Neuen Testament - der ebenfalls in Gottesgestalt gezeichnete charismatische Wanderprediger, der, um Gehör zu finden, apokalyptische Geschichten verbreitet, geradezu an. Alles Menschen, übrigens.

OK, aber lasst uns die Offenbarungsschriften mal nicht wörtlich verstehen, sondern als einen interpretationsbedürftigen Text - wird es dann besser?

Nein, wird es nicht. Es gibt immer noch völlig unverständliche Lehren.

Ungelöst ist zB das Problem der Theodizee - die Rechtfertigung Gottes für das Leid und das Übel, das er als angeblich gütiger Herr in der Welt zulässt. Viele Erklärungsansätze sind bemüht worden, aber hinreichend zu begründen, warum Gott ein 2-jähriges unschuldiges Kind in Afrika qualvoll und elendig verhungern lässt - das ist noch keinem gelungen. Gibt es Elend, damit wir Menschen noble Helfer-Instinkte entwickeln? - Gott ist allmächtig, er muss die Erforderlichkeit des Guten nicht unbedingt durch das Leiden Anderer demonstrieren, Leiden in unvorstellbarer Menge. Ist es "die beste aller Welten" (Leibniz),  notwendigerweise mit Gut und eben auch Böse versehen, und geht es schlicht nicht besser? - Dann wäre kein Paradies möglich, wo es anscheinend allen nun doch besser gehen soll.

Manche reden sich damit heraus, dass Gott den Menschen den freien Willen (was auch immer darunter zu verstehen ist) nicht nehmen wollte. Was für ein Unsinn: Der "freie Wille" erklärt - wenn überhaupt - nur die schlechten Dinge, die Menschen einander vorsätzlich (=willentlich) antun. Wenn ein Autofahrer aber zB aus Nachlässigkeit einen Menschen überfährt, war sein Wille daran in keiner relevanten Weise beteiligt, und trotzdem ist etwas Schlechtes passiert. Ebenfalls kann die Berufung auf den freien Willen nicht die Übel erklären, die Naturkatastrophen oder schlicht tragische Zufälle anrichten.


Gebete sind ebenso sinnlose "sublimierte" Substitute für alte primitive Hexereien und Zauberkünste. Wo man früher den Waldgeist angerufen hat, damit er einem Regen verschafft, betet man heute zivilisiert zu Gott, damit er die nächste Gehaltserhöhung, baldige Genesung des Onkels oder den Mann des Lebens bewilligt. Praktische Auswirkungen von Gebeten ist übrigens etwas, was man wissenschaftlich überprüfen kann. Also prüfte man nach, zum Beispiel hier, und fand dabei - oh Wunder! - keine und teilweise sogar eine kontraproduktive Wirkung.

Und nu? Vielleicht kann man ja noch an irgendeinen anderen, persönlichen,  transzendenten, "unbiblischen" Gott ohne Eigenschaften glauben. Aber glaubt tatsächlich jemand an einen Gott, der kein Leben nach dem Tod verspricht, keine letzte Gerechtigkeit, der nicht die Welt erschaffen hat und an unserem Verhalten nicht zumindest ein bisschen interessiert ist? Außerdem: Was bleibt da denn noch übrig - höchstens ein bisschen Sehnsucht nach Mehr, ein diffuser Glaube, dass alles am Ende nun doch klappt, dass das Leben es gut mit einem meint, und dass die schlechten Dinge, die mit einem passieren, nicht das Produkt eines bösen Zufalls, sondern Teil irgendeines metaphysischen Plans, also nicht umsonst sind. Ob man so etwas Vages gleich personifizieren und "Gott" nennen muss? Vielleicht reicht einfach "Optimismus"? "Lebensfreude"? "Spiritualität"?


Hand aufs Herz: Gott erfüllt heute für uns aufgeklärte Menschen zwei Funktionen. Er ist zum einen die Joker-Karte, wenn es darum geht, die Todesangst zu überwinden, indem man sagt, der Tod sei eigentlich gar kein richtiger Tod, denn es gehe danach fröhlich weiter. Zum anderen vermittelt er uns die Illusion, nicht allein in dieser schrecklich komplizierten Welt zu sein, die wir nur schwer kontrollieren können. Dass wir den Zufall, der die Welt oft mehr regiert, als uns lieb ist, doch ein bisschen steuern können. Er ist die letzte unvernünftige Hoffnung auf ein gutes Ende, wenn die Vernunft bei Problemen nicht mehr weiterhilft. Allerdings ist gerade die Vernunft unser größtes Kapital. Wie Bertrand Russell sagte: "Selbst wenn uns die offenen Fenster ... nach der gemütlichen Wärme der traditionellen, vermenschlichenden Mythen zunächst vor Kälte erschauern lassen, so macht uns die frische Luft am Ende stark".

Zu den oft vorgebrachten Konter-Argumenten siehe Gottes-FAQ.

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