Montag, 26. November 2007

Zufall und Glück

Es ist schon erstaunlich, welch riesigen Einfluss der Zufall auf unser Leben hat. Der von der Evolution jahrtausendelang geschliffene menschliche Geist ist ja gerade daraufhin angelegt, die Umwelt zu kontrollieren, um den Zufall zu überlisten und das Unvorhergesehene zu meistern. Jedoch gilt dies, wenn man das ganze Bild betrachtet, nur im Kleinen, Alltäglichen. Mit den großen Prämissen dagegen, die die Welt um uns herum erst ermöglicht haben, die die Fundamente unseres Daseins gelegt haben, wurden wir ohne unser Zutun gesegnet. Wenn man sich das vergegenwärtigt, wird man schnell bescheiden, weil man unverdient so viel Glück gehabt hat.

Zuerst zum Grundlegenden: Unser Universum hat genau die richtigen Werte für physikalische Kräfte und Konstanten, die es ihm ermöglichen, so lange durchzuhalten, damit Leben, so wie wir es kennen, entstehen kann. Wäre die Gravitationskraft ein bisschen stärker, wäre das Universum nach dem Urknall rasch in sich zusammengestürzt. Hätten die Starke und die Schwache Wechselwirkung einen anderen Wert, wäre die Kernreaktion in den Sternen anders verlaufen. Ohne lange brennende Sterne gäbe es keine schweren Elemente wie zB Kohlenstoff, und damit kein kohlenstoff-basiertes Leben. Die Wucht des Urknalls durfte nicht zu groß gewesen sein, denn dann würde die Materie sinnlos auseinanderfliegen, ohne Galaxien und Sonnensysteme formen zu können. Die Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen. Oft "vertragen" diese Werte und Größen nicht einmal Abweichungen im Prozentbereich. Es gibt sogar Naturkonstanten, deren "Feinabstimmung" mit 1 zu einer 1 mit 120 Nullen angegeben wird. Dieses fragil ausbalanciertes Kartenhaus aus physikalischen Basiswerten und Kräften macht die Welt und uns selbst erst möglich.

Steigen wir herunter zu einer kleineren Skala: der Erde und dem Sonnensystem. Das Sonnensystem liegt in der genau richtigen Distanz zum Zentrum unserer Galaxie, der Milchstraße: Wäre es näher, würden wir von der Gamma-Strahlung aus der Mitte der Galaxie geröstet, und umherfliegende andere Sterne würden die Laufbahnen unserer Sonne und Planeten durcheinanderwirbeln und sie zur Kollision bringen. Die Erde ist im genau richtigen Abstand zur Sonne, damit das lebensnotwendige Wasser nicht gefriert (Mars), aber auch nicht verdampft (Venus). Wir haben einen netten Mond an unserer Seite, der nicht nur schön anzuschauen ist, sondern auch die Erdachse stabilisiert. Sonst könnten wir alle vier Jahreszeiten innerhalb eines Monats erleben - keine Umwelt, die stabil genug wäre, um Leben hervorzubringen. Ebenso nett ist der riesige Jupiter, der von außen kommende Kometen und Asteroiden, die potentiell lebensgefährlich sind, mit seiner zerschmetternden Gravitation abfängt und so den kosmischen Staubsauger gibt. Eine ganz und gar gemütliche Umgebung also.

So, jetzt sind wir Menschen endlich entstanden in einem mit richtigen Konstanten versehenen Universum und in einem maßgeschneiderten Sonnensystem. Jetzt können wir endlich nach unserem Gutdünken walten und mit unserem messerscharfen Sinn uns die Erde untertan machen, stimmt's? Nein, stimmt nicht. Wenn wir denken, dass wir Angehörige der Ersten Welt nur aufgrund unserer grenzenlosen Genialität zivilisatorisch so weit fortgeschritten sind, dann irren wir uns - allein unser Verdienst ist es nicht. Rein zufällig gab es gerade im Nahen Osten genau die richtige Kombination von domestizierbaren Pflanzen und Tieren, die unsere Vorfahren zur Landwirtschaft brachte. Nur die Landwirtschaft bietet nämlich genügend Nahrungsüberschuss, um Städte zu gründen und "Spezialisten" zu ernähren, die sich Gedanken über das Rad, die Schrift, die Politik und die Nintendo-Playstation machen. Nur sie stattet uns mit Resistenzen gegenüber Keimen tierischen Ursprungs aus, mit denen wir dann die eingeborenen Völker Amerikas, Afrikas und Australiens ansteckten und fürchterlich dezimierten, ohne auch nur einen Finger zu rühren. Rein zufällig ist das Kontinent Eurasien in die Länge gestreckt (während Afrika und Amerika eher von Nord nach Süd verlaufen), so dass sich die siegverheißende Landwirtschaft bei uns in ungefähr derselben klimatischen Zone vom Mittelmeerraum bis nach China ausbreiten konnte. Nicht umsonst sind dort, und nicht in Sibiren oder im Amazonas-Delta die ersten Hochkulturen entstanden. Wenn wir uns also heute im schönen warmen Zuhause räkeln und auf den Computermonitor glotzen, und nicht etwa im Busch Würmer braten, dann fast ausschließlich deswegen, weil vor 13.000 Jahren in Palästina die richtigen Sträucher wucherten und die richtigen potentiellen Nutztiere herumpupsten. Primitive dem Kannibalismus frönende Völker hätte es auch in Europa noch heute geben können, wie es sie noch heute in Amazonas-Delta gibt.

Und schließlich: Das Individuum selbst. Die Anzahl der möglichen Genkombinationen ist so unbeschreiblich riesig, dass die Chance für jeden von uns, so wie er ist, auf die Welt zu kommen, mikroskopisch gering ist. Und trotzdem bin ich da und Du, der Du das liest, auch. Richard Dawkins bringt es auf den Punkt:
" The potential people who could have been here in my place but who will in fact never see the light of day outnumber the sand grains of Arabia. Certainly those unborn ghosts include greater poets than Keats, scientists greater than Newton. We know this because the set of possible people allowed by our DNA so massively exceeds the set of actual people. In the teeth of these stupefying odds it is you and I, in our ordinariness, that are here."

Alles blinder günstiger Zufall, urgewaltiges Glück, das wir Menschen haben. Ich weiß, es fällt schwer daran zu denken, wenn das Auto nicht anspringt, der Chef nervt und die Hämorrhoiden keine Ruhe geben. Aber vielleicht hilft ab und zu ein kurzer Gedanke daran, dass wir, egal wie es uns geht, die Gewinner der Riesenlotterie des Universums sind.

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